"Patriot-Ruinen inmitten einer Idylle
Hohe Warte soll komplett zum Naturschutzgebiet werden - Initiative des Regierungspräsidiums - Altlastensanierung offen
GIESSEN. »Zeit zum Steine werfen«, steht an der Wand. Daneben befinden sich antiamerikanische Graffiti. Die Hohe Warte zwischen Annerod und Licher Straße war der erste militärische Stützpunkt für Patriot-Raketen in Europa. Heute gleichen die zwei Areale einem Trümmerfeld. Die weitläufigen Betonbauten neben dem Fußballfeld großen Parkplatz wurden seit 1992 dem Vandalismus überlassen. Auch wenn es nicht danach aussieht: Die Hohe Warte ist ein Naturschutzgebiet. Zwischenzeitlich haben die US-Truppen auch jenes Viertel, das sie 1998 für sich als Übungsplatz beanspruchten, wieder dem Bund als Grundeigentümer zurückgegeben. Nächste Woche treffen sich Vertreter von Bund, Regierungspräsidium (RP) und Stadt, um die Umwidmung dieser 66 Hektar in ein Naturschutzgebiet auszuloten. Was allerdings aus den Ruinen wird, bleibt offen. Die Mauern der entkernten Gebäude sind ein Sprayer-Eldorado und fungieren als Spielplatz für Jugendliche. Ein Spielplatz, der seine Tücken hat. Herausgebrochene Betonteile der Decke baumeln an verrosteten Stahlstreben herab. Gruben im Boden sind provisorisch abgedeckt, der mit Schutt übersät ist. Viel ist von dem acht Millionen Mark teuren Ausdruck militärischer Stärke nicht geblieben, von reichlich betonierter Fläche einmal abgesehen.
»Das ist schon trostlos«, sagt Johannes Gura bei einem Spaziergang, »man stellt sich unter einem Naturschutzgebiet gemeinhin etwas anderes vor.« Der Lehrer einer Gießener Schule wohnt am Rande des Naturschutzgebietes in Annerod. Er hatte vor acht Jahren den Bürger-Protest gegen die Nutzung des Truppen-Übungsplatzes durch die Amerikaner organisiert. Damals stand die Ausweisung der etwa 240 Hektar großen Hohen Warte als Naturschutzgebiet kurz bevor. Hiervon wurden über ein Landbeschaffungsverfahren jene 66 Hektar abgezweigt, auf denen die US-Army bis 2005 übte. Mit dem Abzug übergaben es die Streitkräfte dem Bund.
Seitdem hat sich nichts getan. Das ehemalige Materiallager mit seinen Blechbarracken, die die Bundeswehr als vorheriger Benutzer des Übungsplatzes errichtet hatte, steht noch immer. Nun soll auch der frühere Truppenübungsplatz in ein Naturschutzgebiet umgewandelt werden, wie RP-Pressesprecher Manfred Kersten berichtet. Ende März hatte das RP die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben als Verwalterin angeschrieben. Der Vorschlag: Im Wege eines öffentlich-rechtlichen Vertrages zwischen Bund und Land soll das Übungsgelände den selben Schutzstatus wie ein Naturschutzgebiet erhalten. »Die Fläche, um die es geht«, berichtet er, »gilt als naturfachlich wertvollstes Gebiet.« Dort sind zahlreiche Amphibienpopulationen wie die stark gefährdete Gelbbauchunke zu finden, aber auch seltene Vogelarten beim Brüten zu beobachten. Nächste Woche ist ein Ortstermin mit einem Mitarbeiter des Bundesforstes sowie der Unteren (Stadt) und der Oberen Naturschutzbehörde (RP) vereinbart, »um auszuloten, was von dem Vorschlag realisierbar ist«. Bürgermeisterin Gerda Weigel-Greilich, zuständig für das Umweltamt, unterstützt diesen Vorstoß. »Das würden wir natürlich gerne sehen«, sagt sie.
Die Frage der Sanierung des Areals bleibt jedoch auch bei einer Umsetzung ungeklärt. Fest steht für Manfred Kersten aber auch: »Der Grundeigentümer ist für die Sicherungspflicht verantwortlich.« Die Stadt winkt ohnehin ab. Zuständig sei der Bund als Eigentümer des Areals. »Ich werde kein Gießener Steuergeld, das ohnehin schon knapp ist, für Dinge aufwenden, die nicht unsere Sache sind«, bekräftigt Stadtrat Thomas Rausch. Lediglich die Regeln des Naturschutzes müssten eingehalten werden. Aber auch er sagt: »Da geht eine gewisse Gefahr von aus.« Alles, was gefahrenträchtig sei, müsse beseitigt werden.
Wie teuer solche Arbeiten werden können, beweist die Sanierung der ehemaligen US-Deponie, die zwischen den zwei Patriot-Bereichen liegt. Im Bundeshaushalt wurden fast sechs Millionen Euro für die Umlagerung von 30000 Kubikmeter Abfall auf einen drei Hektar hohen Hügel mit einem passiven Entgasungssystem veranschlagt. Gezahlt hat die Bundesrepublik Deutschland, entgegen einer ursprünglichen Zusage der US-Armee.
Johannes Gura wüsste gerne, was da unter den vielen Plastikrohren verrottet. »Generell vermisse ich hier auch ein bisschen Transparenz«, bemängelt er.
»Ehemaliges HMD 'Hohe Warte' - Zutritt für Unbefugte nicht gestattet!« steht am Tor der umzäunten Deponie. Der Weg entlang wird begrenzt durch einen Natodrahtzaun der parallel liegenden US-Stellung. »Das sieht ja aus wie in Guantanamo«, hatte ein Bekannter bei einem Spaziergang kürzlich zu ihm gesagt. Mehr fällt ihm dazu auch nicht ein. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen."
Quelle: Oliver Kessler, Gießener Anzeiger, 20.04.2007 [http://anzeiger.net/sixcms/detail.ph...calnews&_dpa=]


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