Heeres- und Armeetruppen der frühen Bundeswehrplanung

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  • Nemere
    Cold Warrior
    • 12.06.2008
    • 2822

    #1

    Heeres- und Armeetruppen der frühen Bundeswehrplanung

    Die ursprüngliche Aufstellungsplanung der Bundeswehr sah starke „Heeres“- bzw. „Armee“-Truppen vor. Die Korps hatten in der ursprünglichen Planung dagegen nur wenige fest unterstellte Korpstruppen, eigentlich nur die Fernmeldekräfte. Artillerie, Pioniere usw. sollten sie aus dem Kontingent der Heerestruppen erhalten. Es gibt kaum Veröffentlichungen zu den Heerestruppen, meistens wird nur die Gesamtzahl der aufzustellenden Truppenteile genannt. Nun bin ich im Bundesamt-Militärarchiv über eine Akte aus dem Jahre 1955 gestolpert, die zumindest etwas detaillierter auf die Aufstellungsplanungen für Artillerie, Pioniere und Heeresflugabwehr eingeht. Auch lässt sich hier zusammen mit anderen Quellen wenigstens für einige Teilbereiche nachvollziehen, was dann tatsächlich ab Ende 1955 aufgestellt wurde. Siehe beigefügte Zusammenstellung.

    Pro Korps waren im Bereich der Artillerie sieben Rohrartillerie- und drei Raketenartilleriebataillone vorgesehen, wobei man einschränkend sagen muss, dass die Divisionen 1956 nur drei Rohrartilleriebataillone und keine Raketenartillerie hatten.

    Bei der Pioniertruppe fällt auf, dass die ABCAbwehr-Einheiten damals noch den Pionieren zugeordnet waren. Außerdem waren bei den Heerespionieren noch Regimentsstäbe als „Kommandant der Übergänge“ mit eigenen Fernmeldekräfte vorgesehen, da anscheinend damals die Organisation der Gewässerübergänge vor allem an Rhein und Donau noch nicht der damaligen Landesverteidigung / Territorialen Verteidigung zugeordnet war. Das mag auch damit zusammenhängen, das in den 1950er Jahren eben noch keine grenznahe Vorneverteidigung geplant war.

    Mit vier bis fünf Bataillonen pro Korps waren auch starke Flugabwehrkräfte vorgesehen, damals auch noch mit großkalibrigen Geschützen (75 mm Skysweeper), die vor allem zum Schutz von Brücken und Übergangsstellen vorgesehen waren. Auch FlaRakBtl waren beim Heer in der Planung, da man sich noch nicht ganz im Klaren darüber war, ob Luftwaffe oder Heer die Verantwortung für die Flugabwehr in mittleren Höhen übernehmen sollte. Die aufgestellten Heeresfla-Btl mit den Skysweeper-Geschützen gingen nach 1960 zur Luftwaffe und wurden dort bald zu FlaRakBtl, im Gegenzug gab die Luftwaffe ihre vorhandenen FLaBtl mit der 40 mm L 70 Flak nach Aufstellung der ersten HAWK-Verbände an das Heer ab.

    Aufgestellt wurden nur wenige dieser zahlreichen Heerestruppen. Mit Einnahme der Heeresstruktur 2 ab 1959 entstanden daraus vor allem die Korpstruppen.
    Angehängte Dateien
  • Waldo
    Cold Warrior
    • 30.07.2009
    • 107

    #2
    Ich ergänze das Thema Heeresplanung mit Unterlagen aus dem Jahre 1956:

    Kommentar

    • Nemere
      Cold Warrior
      • 12.06.2008
      • 2822

      #3
      Vielen Dank für diese sehr aufschlußreichen Unterlagen. Hast Du evtl. noch die Archivsignatur dafür?

      Grüße
      Jörg

      Kommentar

      • Nemere
        Cold Warrior
        • 12.06.2008
        • 2822

        #4
        Noch ein paar Ergänzungen zu den hervorragenden Dokumenten, die uns waldo hier zur Verfügung stellt.

        Man erkennt hier bereits die ersten Änderungen zu den Planungen 1955.

        Die 8. und die 9. Grenadierdivision wurden nie aufgestellt. Stattdessen entstand die 1. Gebirgsdivision aus der mit Teilen aufgestellten Gebirgsbrigade 104 und die 1. Luftlandedivision aus der Luftlandebrigade 106. Nur in den Nummern der Divisionstruppen (8 bei der GebDiv und 9 bei der LLDiv) erkannte man noch, dass diese Divisionen einst als 8. und 9. Grenadierdivision geplant waren.

        Beide Brigadetypen waren für unser heutiges Verständnis für Brigaden sehr stark. Die Gebirgsbrigade hatte 8668 Soldaten, 1986 hatte eine Gebirgsjägerbrigade etwa 5100 Mann, eine Panzerbrigade 3400 und eine PzGrenBrigade 3600 Mann. Selbst die Luftlandebrigade war 1956 mit 5420 Mann mehr als doppelt so stark wie ihr neuzeitliches Pendant 1986 mit 2300 Soldaten.
        Auch die vorgesehene Gliederung der Gebirgsbrigade mit einem Artillerieregiment (2 Abteilungen /Bataillone), einen Pionierbataillon, einem Flugabwehrbataillon, einem Sanitätsbataillon, einer Heeresfliegerstaffel und einer – wenn auch gekürzten – Feldjägerkompanie ist sehr ungewöhnlich und deutet schon eher in Richtung Division.

        Dagegen wirken die Divisionen 1956 recht bescheiden: GrenDiv 13.346 und PzDiv 12.786 Mann, die Division 1986 lag mit etwa 25.600 Mann beim Doppelten.
        Die Divisionen verfügten mit 8 bzw. 9 Bataillonen 1956 über deutlich weniger Kampftruppe als eine Division 1988, die unter Einrechnung der Jäger- und Sicherungsbataillone auf 16 Bataillone kam. Auch der Personalersatz war 1956 mit einer Ersatzkompanie gegenüber den 5 Feldersatzbataillonen der Division 1986 mehr als bescheiden eingeplant. Man kann natürlich argumentieren, dass es 1956 noch kaum Personalersatz gab, weil noch keine (neu) ausgebildeten Reservisten verfügbar waren.

        Auffällig ist, dass man damals Teile der artilleristischen Aufklärung bei den Kampfgruppenstäben der Grenadierdivisionen eingliederte. Bei jedem dieser Stäbe gab es eine „Schallmesseinheit“. Das waren schwache Züge mit 22 Soldaten. Ein solcher Schallmess-Zug war auch beim Grenadierlehrbataillon in Hammelburg vorgesehen. Hier scheint man Anleihen bei der Wehrmacht genommen zu haben. Dort gab es seit Ende 1942 „Infanterie-Schallmeßzüge“, die Schule für die diese Einheiten lag auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr. Allerdings kann ich mir nicht recht erklären, warum man Aufklärung durch Schallmeß, was eine relativ komplizierte Angelegenheit ist, ausgerechnet bei der Infanterie an vorderster Front ansiedelte.

        1956 war noch ein Armeestab und ein IV. Korps vorgesehen. Das IV. Korps gab es erst 1995 für einige Jahre, als dieser Korpsstab durch Umgliederung des Korps/Territorialkommando Ost entstand, daraus wurde 2001 das Einsatzführungskommando. Ein Armeestab wurde nie gebildet.

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        • kato
          Cold Warrior
          • 03.03.2009
          • 867

          #5
          Zitat von Nemere Beitrag anzeigen
          Hier scheint man Anleihen bei der Wehrmacht genommen zu haben. Dort gab es seit Ende 1942 „Infanterie-Schallmeßzüge“, die Schule für die diese Einheiten lag auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr. Allerdings kann ich mir nicht recht erklären, warum man Aufklärung durch Schallmeß, was eine relativ komplizierte Angelegenheit ist, ausgerechnet bei der Infanterie an vorderster Front ansiedelte.
          Die Infanterie-Schallmesseinheiten des Zweiten Weltkriegs wurden ursprünglich Mitte 1942 als Trupps aufgestellt und den Geschützkompanien der Infanterieregimenter unterstellt. Aufgabe war die Aufklärung feindlicher Mörserstellungen (hauptsächlich) zur Bekämpfung durch die Geschützkompanie. Die technische Ausstattung dieser Trupps beschränkte ihren Nutzen noch auf eher solche Aufgaben, ein Trupp hatte wohl einen Aufklärungsstreifen im Bereich 300-2000 Meter Breite.

          Erst mit Beginn des Russlandfeldzugs wurden die Schallmesstrupps zu Zügen zusammengefasst und den Divisionsstäben unterstellt (bzw. neu aufgestellte Einheiten gleich so gestaltet), um dann für die nicht-infanteristische Artillerie aufzuklären. Das "Infanterie-" im Namen blieb dabei.

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          • Nemere
            Cold Warrior
            • 12.06.2008
            • 2822

            #6
            Vielen Dank. Ich hatte zwar auch so etwas mit den feindlichen Mörsern vermutet, weil die sowjetischen 120 mm Granatwerfer ein echtes Problem an der Ostfront waren, habe aber keine aussagekräftige Quelle gefunden. Wo hast Du denn das ausgegraben?

            Grüße
            Jörg

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            • kato
              Cold Warrior
              • 03.03.2009
              • 867

              #7


              So grob ab Seite 350.

              Auszug Seite 351:
              351.jpg

              Edit für Post oben: Natürlich nicht "mit Beginn des Russlandfeldzugs", sondern "mit Beginn des Rückzugs in Russland / an der Ostfront".

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              • Nemere
                Cold Warrior
                • 12.06.2008
                • 2822

                #8
                Vielen Dank!
                Wenn man bei den in Google angezeigten Seiten dieses Buches etwas nach vorne blättert, erfährt man auch einiges zur Arbeitsweise und Ausstattung dieser Schallmeßtrupps (S. 328 ff.)

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