Heeresaufbau Dezember 1958 - Planungen und Wirklichkeit

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  • Nemere
    Cold Warrior
    • 12.06.2008
    • 2843

    #1

    Heeresaufbau Dezember 1958 - Planungen und Wirklichkeit

    Ich bin in den Unterlagen des BA auf das Protokoll einer Besprechung zum Heeresaufbau vom Dezember 1958 gestoßen. Auszüge daraus anbei.
    Der dort erwähnte Minister war damals Strauß.

    Einige interessante Aspekte daraus:

    Der Inspekteur des Heeres hielt damals 2 Monate Übungszeit (jährlich) auf Truppenübungsplätzen für notwendig. Dieses an sich wünschenswerte Ziel wurde nie erreicht. Mehr als vier Wochen, und die noch meistens verteilt auf mindestens zwei Termine, wurden es nur in Ausnahmefällen.

    Der Minister hatte die Vorstellung, dass die Kasernen nicht zu eng, sondern nach den Kriegsstärken der Truppen der Truppe gebaut werden sollten. Auch das war ein frommer Wunschtraum. Was bei einem aktiven Kampftruppenbataillon vielleicht noch sichergestellt wurde, blieb z.B. bei Nachschub-, Instandsetzungs-, Sanitäts- oder Feldjägereinheiten ewige Illusion.

    Weiter dachte man über eine „Kurzausbildung“ für die „weißen Jahrgänge“ nach, also die Geburtsjahrgänge, die nicht mehr in der Wehrmacht gedient hatten und als Wehrpflichtige nicht mehr zur Bundeswehr eingezogen wurden. Hier ging es im Wesentlichen um die Jahrgänge 1927 bis 1936/37. Gedankliches Vorbild waren hier die ab 1934 bestehenden „Ergänzungseinheiten“ der Wehrmacht, die ebenfalls Kurzausbildung für die damaligen weißen Jahrgänge 1900 – 1913 durchführten.
    Auch das Heranziehen der gedienten Soldaten des 2. Weltkriegs als Personalreserve wurde thematisiert.

    Ganz phantastische Vorstellungen äußerte der Herr Minister dann hinsichtlich der Bewaffnung der Heeres-Artillerie mit Raketen. Er stellte fest, dass es – damals -eine Kompetenzgrenze gab, bis 300 km Reichweite war das Heer zuständig, über 300 km die Luftwaffe. Die Ideallösung für die Ausstattung einer Division (!) würde nach seiner Ansicht sein:
    1 Bataillon SERGEANT– Raketen und
    1 Bataillon REDSTONE – Raketen.

    Die SERGEANT mit einer Reichweite von ca. 130 km wurde tatsächlich nach 1960 bei den Korps eingeführt (Vorläufer der LANCE).
    REDSTONE basierte noch auf der Weiterentwicklung der Technik der V 2 / A4 und wurde wesentlich mit Beteiligung deutscher Raketentechniker unter Walter Dornberger und Wernher von Braun entwickelt. Die Serienproduktion begann 1955, das Gerät sollte als Kurzstreckenrakete mit einer Reichweite von ca. 300 km einen Sprengsatz von bis zu 3,75 Mt tragen.
    Die Zuverlässigkeit dieser dann ab 1958 auch bei der US-Army in Westdeutschland mit vier Abschußrampen stationierten Rakete war nicht besonders hoch, Fehlstarts waren an der Tagesordnung. Zur Einführung bei der Bundeswehr kam es nie. Für einen Einsatz bei den Divisionen, also doch recht frontnah, wie es sich der Minister vorstellte, wären diese Raketen viel zu groß und schwerfällig gewesen.

    Diese Ideen von Strauß verflogen schnell. Die Divisionen bekamen ein Bataillon mit HONEST JOHN (Reichweite 40 km), die Korps erhielten ein Bataillon mit SERGEANT.
    Angehängte Dateien
  • kato
    Cold Warrior
    • 03.03.2009
    • 870

    #2
    Zitat von Nemere Beitrag anzeigen
    Er stellte fest, dass es – damals -eine Kompetenzgrenze gab, bis 300 km Reichweite war das Heer zuständig, über 300 km die Luftwaffe.
    Die 300-km-Grenze zwischen Heer und Luftwaffe stammte aus den USA (dort: 200-Meilen/320-km-Grenze) und wurde erst im November 1956 nach langen Querelen durch den Verteidigungsminister festgelegt. Vermutlich wollte Strauß ähnliches Kompetenzgerangel gleich von vornherein vermeiden.

    Bzgl der Zuverlässigkeit von REDSTONE, diese war damals ja nicht absehbar - die mit dieser ausgestatteten US-Einheiten nahmen ja auch erst 1958-1959 den Betrieb auf. Bei den davor laufenden Testserien unter kontrollierten Bedingungen lag die Zuverlässigkeit auch noch sehr hoch, und man hatte ja mit abgeleiteten Systemen zu dem Zeitpunkt auch schon Menschen in den Weltraum gejagt - die Redstone hatte damals den Ruf der "Old Reliable". Probleme schien da mehr der Einsatz im Feld zu machen, womit REDSTONE auch nicht allein war (ich meine CORPORAL war nochmal deutlich problematischer).

    Prinzipiell handelte es sich bei REDSTONE um das größte verfügbare Flugkörpersystem für einen verlegbaren Einsatz. Auch wenn der Aufbau einer Feuerstellung bis zur Bereitschaft im Grunde einen Tag in Anspruch nahm. Und man brauchte wohlgemerkt ein komplettes Bataillon aus Raketenartilleriebatterie, Begleitbatterie und Spezialpionierkompanie mit über 20 Schwerlastfahrzeugen um in dieser Zeit nur einen einzelnen Flugkörper in Bereitschaft zu bringen.

    An dem Absatz zur REDSTONE im Dokument ist neben dran ein handschriftlicher Vermerk, den ich nicht ganz lesen kann, der aber auszudrücken scheint, dass "[...] auch der Herr Minister lehnt [...] Redstone ab".


    Das "Umschwenken" auf Honest John erfolgte im November 1958 nach der Kruschtschov-Berlin-Rede recht schnell, vermutlich aufgrund einer Bereitschaft seitens der USA die auch schnell zu liefern. Die Raketenartilleriebataillone der Korps-Artilleriekommandos wurden ja dann auch schon ab März 1959 aufgestellt und mit diesen ausgerüstet.

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    • messu
      Rekrut
      • 19.08.2008
      • 34

      #3
      Nur eine Bemerkung am Rande, denn hier irrst Du. [QUOTE=kato;54034Bei den davor laufenden Testserien unter kontrollierten Bedingungen lag die Zuverlässigkeit auch noch sehr hoch, und man hatte ja mit abgeleiteten Systemen zu dem Zeitpunkt auch schon Menschen in den Weltraum gejagt - die Redstone hatte damals den Ruf der "Old Reliable". [/QUOTE]
      1958 oder 1959 hat man keine Menschen in den Weltraum gejagt. Erster Amerikaner im All war Alan Shepard im Mai 1961 (https://www.phoenix.de/themen/dossie...-a-249482.html), Ende 1958 hatte man von US-Seite den ersten Affen ins All geschickt. Das nur als Anmerkung.
      Danke euch beiden für das Zusammentragen der Fakten rund um die frühe Phase rund um den Aufbau der Bundeswehr.

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      • Nemere
        Cold Warrior
        • 12.06.2008
        • 2843

        #4
        Zitat von kato Beitrag anzeigen
        An dem Absatz zur REDSTONE im Dokument ist neben dran ein handschriftlicher Vermerk, den ich nicht ganz lesen kann,
        Der handschriftliche Vermerk vom 21.8. (wahrscheinlich 1959) lautet: „Überholt; auch der Herr Min. lehnt jetzt Redstone ab.“

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