HStr IV und die Sankette

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  • Nemere
    Cold Warrior
    • 12.06.2008
    • 2806

    #16
    Ich glaube ich habe die Ausfallraten schon einmal hier im Forum eingestellt, aber hier nochmal.
    An der Führungsakademie rechnete man mit folgenden Zahlen:

    Angenommene Ausfallraten im Gefecht:
    Kampftruppen-Btl: 20,5 % pro Tag, davon 70 % Verwundete:
    30 % Kategorie 1, Schwerst-Verletzt
    30 % Kategorie 2, Schwer – Verletzt
    30 % Kategorie 3, Mittelschwer – Verletzt
    10 % Kategorie 4, Leicht-Verletzt
    Brigade gesamt: 6,9 % Ausfälle
    Division gesamt: 3,0 % Ausfälle

    Der Vergleich Ausfallrate Kursk 1943 versus Gefecht im Fulda GAP ist doch ziemlich sinnlos. Welche Kriterien willst Du hier heranziehen? Dann müsste man auch ins Kalkül ziehen, das es 1943 noch keine Hubschrauber zum Verwundetentransport, keine Antibiotika (zumindest auf deutscher Seite) und nur sehr beschränkte Möglichkeiten der Bluttransfusion gab, um nur einige Punkte zu nennen.

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    • EmilBerggreen
      Cold Warrior
      • 19.07.2015
      • 514

      #17
      Guten Morgen Jörg,


      vielen Dank für die Schätzungen der Ausfallraten. Mir kommen sie sehr gering vor aber es wird wohl bestimmte Parameter geben, welches die Führungsakademie zu diesen Zahlen kommen ließ.
      Ja, mein Vergleich Kursk mit einem modernen Panzergefecht ist sicherlich unsinnig. Es fiel mir nur spontan ein.
      Technisch-medizinischer Fortschritt, das muss man natürlich berücksichtigen.


      Gruss

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      • kato
        Cold Warrior
        • 03.03.2009
        • 863

        #18
        Zitat von EmilBerggreen Beitrag anzeigen
        Mir kommen sie sehr gering vor aber es wird wohl bestimmte Parameter geben, welches die Führungsakademie zu diesen Zahlen kommen ließ.
        Auch wenn es deutlich älter ist - US Army von 1954 :
        Casualties as a Measure of the Effective Loss of Combat Effectiveness of an Infantry Battalion
        , basierend auf der Analyse von Verluststatistiken amerikanischer Einheiten in Europa 1943 bis 1945. Die Studie wurde damals im Hinblick auf und unter einer damaligen Debatte über das evtl mögliche initiale Zerschlagen von Kampfverbänden durch atomare Kriegsführung erstellt.

        Bezüglich kumulierter Verluste wurde dabei insbesondere der Tag des "Breaking Points" (Abbruch der Kampfhandlungen aufgrund Ausfällen) sowie die 2 Tage zuvor ins Auge gefasst. Bei 20,5% angenommener Ausfallrate pro Tag der Führungsakademie kommt man den damals festgestellten durchschnittlichen zum Abbruch führenden Ausfällen der damaligen Einheiten über denselben 3-Tages-Zeitraum erstaunlich nahe.

        Wobei das Fazit der Studie schon ziemlich in die Richtung geht, dass eine reine Betrachtung kumulativer Verlustraten eine "gross oversimplification" ist und man immer noch weitere Parameter mit betrachten muss.

        Kommentar

        • Nemere
          Cold Warrior
          • 12.06.2008
          • 2806

          #19
          Um noch einen historischen Konflikt hinsichtlich der Verluste zu betrachten und zwar auf regionaler Ebene:

          Anlässlich der 100. Wiederkehr des Ersten Weltkriegs habe ich 2014 für eine Ausstellung in unserem Heimatmuseum das sog. „Ehrenbuch“ einer Landkreisgemeinde ausgewertet. In diesen Ehrenbüchern wurden in den 1920er Jahren die Kriegsteilnehmer der Gemeinden verzeichnet.

          Im Ehrenbuch dieser Kleinstadt sind 439 Kriegsteilnehmer aufgeführt.
          Davon starben durch Kriegseinwirkungen 103 und durch Krankheiten 5 Soldaten, gesamt also 108 Soldaten, vermisst wurden 11 Männer. Insgesamt kehrten also 119 Soldaten nicht aus dem Krieg zurück, was 27,10 % der genannten Personen entspricht. Zum Vergleich: Die Gesamtverlustquote der deutschen Streitkräfte im Ersten Weltkrieg lag bei etwa 16 %.

          Verwundet wurden 116 Soldaten, manche davon mehrfach. Das entspricht etwa 26,40 % der Kriegsteilnehmer aus dem Untersuchungsbereich.

          In Gefangenschaft gerieten 20 Frontkämpfer, also lediglich 4,6 % der Kriegsteilnehmer aus der betrachteten Gemeinde.

          Hier lässt sich ein augenfälliger Unterschied zur Verluststatistik des Zweiten Weltkriegs ausmachen. Im Ersten Weltkrieg gerieten in dieser Gemeinde nur 4,6 % der Soldaten in Gefangenschaft, lediglich 2,5 % wurden als vermisst geführt.
          Für den Zweiten Weltkrieg rechnet man dagegen auf deutscher Seite mit Gesamtverlusten von etwa 4.859.000 Soldaten, davon galten 2.008.000 oder 41,3 % als verschollen. Bei den Vermissten des Ersten Weltkriegs handelt es sich meistens um Einzelfälle, die in den Materialschlachten der Westfront im Artilleriefeuer verschüttet wurden und nicht mehr gefunden werden konnten. Im Zweiten Weltkrieg kamen vor allem an der Ostfront in den großen Kesselschlachten des Jahres 1944 Hunderttausende während der Kämpfe unbemerkt zu Tode oder verschwanden, nachdem sie die Verbindung zur Truppe verloren hatten, irgendwo spurlos.
          Während am Ende des 2. Weltkrieges nahezu die gesamte Wehrmacht mit einer Stärke von noch etwa 7,8 Millionen Soldaten in Kriegsgefangenschaft marschierte, war dies bis 1918 eher die Ausnahme, da es an den Fronten keine katastrophalen deutschen Niederlagen mit entsprechend hohen Gefangenenzahlen gegeben hatte und die Armee nach dem Waffenstillstand im November 1918 einigermaßen geordnet in die Heimat zurückgeführt und dort demobilisiert wurde.

          Die Zahl der Gefallenen ist auf dem ersten Blick annähernd gleichmäßig über die Kriegsjahre 1914 – 1918 verteilt:
          1914: 26
          1915: 26
          1916: 22
          1917: 20
          1918: 23

          Berücksichtigt man jedoch, dass der Krieg erst im August 1914 begann und sich die Verluste dieses Jahres daher nur auf 5 Monate verteilen, ergibt sich ein anderes Bild. 1914 war mit einer durchschnittlichen Gefallenenzahl von 5,2 pro Monat das verlustreichste Kriegsjahr, alle anderen Jahre weisen Monatsdurchschnittswerte zwischen 1,66 (1917) und 2,17 (1915) auf. Der absolut verlustreichste Monat mit 10 Gefallenen war der April 1918, bedingt durch die großen deutschen Frühjahroffensiven in Frankreich. Es folgt der September 1914 mit 8 und der Oktober 1914 mit 7 Gefallenen, was durch den Übergang vom Bewegungskrieg zum Stellungskrieg mit den damit sich ergebenden stärkeren Auswirkungen des Artilleriefeuers bei noch nicht optimierten Stellungssystemen zu erklären ist.

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          • uraken
            Cold Warrior
            • 27.09.2008
            • 865

            #20
            Der erste Weltkrieg endete auch "wesentlich" früher. Ein unverhältnismäßig großer Teil der deutschen Verluste traten 2. Hälfte 44/45 auf, als immer schlechter ausgerüstete und ausgebildete und auch oft wild zusammengewürfelte Einheiten einfachen gegen den Feind mit oft unsinnigen und unrealistischen Befehlen geworfen wurden. Zu diesen Zuständen ist es 1918 nie gekommen, die OKL warf das Handtuch viel früher. 1945 fielen 1,8Millionen von ~5Millione gefallenen Soldaten. Und das nur in den ersten effektiv 4 Monaten. Selbst unter den Bedingungen an der West Front verheizte das kaiserliche Heer die Soldaten in dem Masse nie wie es das 3. Reich tat.

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            • Nemere
              Cold Warrior
              • 12.06.2008
              • 2806

              #21
              Zu dem Thema Verluste im Zweiten Weltkrieg und zur Frage wie es zu den eklatant hohen Zahlen an Vermissten kam, gibt es ein sehr instruktives Buch:
              Overmans, Rüdiger: Deutsche militärische Verluste im Zweiten Weltkrieg. (Beiträge zur Militärgeschichte, 46), München 1999.

              Grüße
              Jörg

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              • DeltaEcho80
                Cold Warrior
                • 09.03.2013
                • 1690

                #22
                Zitat von EmilBerggreen Beitrag anzeigen
                Okay, verstehe.
                Hatte das Verwundetennest immer als eine Art "Provisorium" gesehen, wo die Verwundeten eines Zuges, der gerade das Feuergefecht führt, gesammelt werden und dass die Sanitäter mit ihren lebensrettenden Maßnahmen erst später ins Spiel kommen.
                Natürlich solche Dinge wie Druckverbände anlegen … etc.

                Gem. WP
                [COLOR=#222222][FONT=sans-serif]

                Druckverband - vielleicht die wichtigste lebensrettende Maßnahme, um die Blutung zu stoppen. Ich meine das einmal von einem ehemaligen Sani gehört zu haben. "Blutung stoppen und egal, ob da Schmutz reinkommt - Infektionen kann man später noch immer bekämpfen - Hauptsache, er schafft es erst einmal weiter".
                Schusswunden sind eine Sache aber was ist mit Kombinationen aus Schuss- und Brandwunden, Metallsplittern (alle typischen Verletzungsbilder aus einem Panzergefecht), komplizierten Knochenbrüchen, etc.?
                Man muss natürlich auch sehen, dass sich seit dieser Zeit die Notfallmedizin und die Notfallmedizin innerhalb der Bundeswehr gewaltig weiter entwickelt haben. Nicht nur, weil neue medizinische Erkenntnisse einfließen, sondern auch, weil die Bundeswehr Einsatzerfahrung gesammelt hat. Der "gute alte" Druckverband zählt da sicherlich immer noch dazu, aber inzwischen wurden ja solche Sachen wie Torniquet, Israeli Bandage oder Packing auch in der Bundeswehr eingeführt.
                Und bei den von dir angeführten verschiedenen Mustern wird nach dem Motto behandelt: "Treat first, what kills first".

                Kommentar

                • EmilBerggreen
                  Cold Warrior
                  • 19.07.2015
                  • 514

                  #23
                  Moin zusammen,

                  noch mal zum Thema Gang der Verwundetenversorgung. Man müsste es vielleicht einfach mal an einem fiktiven Beispiel durchdeklinieren:

                  03 0215 Z OCT86 Jäger Müller (19 J) erhält bei einem Nachtgefecht mehrfache Treffer in der Lunge. Seine Kameraden schleifen ihn ins nächste Verwundetennest. Eine Erstversorgung kann jedoch nicht durchgeführt werden, da der Thorax verletzt ist, er nicht abgebunden werden kann, etc. Schockbekämpfung. Kamerad Müller hat sehr viel Blut verloren und ist unfähig sich zu bewegen. Ein- und Austrittswunden können aus Zeitmangel nicht festgestellt werden. Möglicherweise hat er auch einen Wirbelsäulensteckschuss erhalten. Nach dem Feuergefecht herrscht Chaos. Der Kamerad hat lange Zeit in seinem Kampfstand gestanden, seine Uniform ist stark verdreckt und vom nächtlichen Regen durchnässt. Temperaturen um 3°C. Die Männer sind stark unterkühlt.

                  Vielleicht wird ein Sanitätssoldat Müller die mit Blut, Kot und Waldboden verschmierte und völlig verdreckte Uniform herunterschneiden und ihn in eine Rettungsdecke legen und in eine Zeltbahn einwickeln.
                  Sanitätsdienst aller Truppen. Man merkt schon, ich kenne mich damit absolut nicht aus, wie man vorgeht. Verwundeten flach lagern, Oberkörper erhöht, warm halten, Flüssigkeit geben (er hat eine Lungenverletzung, geht also nicht). Brust- und Rückenverband mit Verbandspäckchen? Blutstillung, wenn er aus dem Brustkorb blutet und mit jedem Herzschlag kommt mehr Blut – Druckverband geht da nicht. Offene Brustverletzung: pfeifende, schlürfende Geräusche, Luftblasen in der Wunde, blutiger Schaum vor dem Mund, flache Atmung bis Atemnot – der Kamerad wird an seinem eigenen Blut ersticken, wenn man nicht handelt.

                  03 0300 Z OCT86 Gepanzerter SanTrp (M113 MTW) nimmt Jäger Müller und 5 weitere Kameraden, die schwere Brandverletzungen haben und aus getroffenen Kampfpanzern geborgen wurden, auf und transportiert sie zur TVP JgBtl.

                  03 0320 Z OCT86 Jäger Müller bekommt endlich seine Erstversorgung und wird intubiert. Penetrierende Thoraxverletzung und Gefahr auf Pneumothorax. Müller erhält erstmalig Blutvolumen. Er wird vom BtlArzt, hier gleichzeitig Sichtungsarzt als Kategorie I (akute, vitale Bedrohung, Lebensgefahr, Sofortbehandlung) eingestuft. Der Kamerad Müller ist 19 Jahre jung, körperlich sehr gute Konstitution, sportlich topfit, Nichtraucher, keine Vorerkrankungen – seine Überlebenschancen werden als sehr vielversprechend eingestuft. Müller u.a. werden mit einem SanHubschrauber Bell UH-1 ausgeflogen.

                  03 0350 Z OCT86 Eintreffen im HVP. Müller wird zur Not-OP ins OP-Zelt gebracht. Starke Kavitation/Gewerbezerstörung durch Schussverletzung. Es können alle drei Projektile entfernt werden. Eines verbleibt jedoch im Rückenmark und kann in der Not-OP nicht entfernt werden. Jäger Müller wird in eine ortsfeste SanEinrichtung transportiert, wo er weiterversorgt wird.

                  Das Beispiel mit Kamerad Müller ist vielleicht Schwachsinn/Bockmist. Der Jäger hätte von 02:15 bis 03:20 einen mehrfachen Lungendurch- oder steckschuss wohl niemals überlebt. Man kann so eine Verletzung meines Wissens ja nicht abbinden oder sonst etwas. Erschwerend dazu hatte ich die niedrigen Temperaturen, den Niederschlag, Nachtgefecht, unklare Lagen und sehr viel Chaos genannt. Müllers Kameraden können sich unmöglich intensiv um ihn kümmern, da die Feuergefechte an anderer Stelle weitergehen, die Stellung verlegt wird, man die Verwundeten und Sterbenden im Verwundetennest eine Zeitlang allein lassen muss und, und, und …
                  Also man sollte den Gang der Verwundetenversorgung insbesondere unter den Aspekten des maximalen Chaos und der absolut maximalen Friktionen sehen. Müller ist nicht der einzige Verwundete, der die nächsten Stunden wahrscheinlich nicht überleben wird. Der SanMTW wird vollgestopft mit Brandverletzten und die Chance, dass Müller jemals lebendig auf dem TVP oder HVP ankommt, ist schon mal sehr gering. Die Chance, dass er am Ende im SanBunker (unterirdischen Hilfskrankenhaus) Wedel landet, ist verschwindend gering.
                  Auf dem Papier ist alles klar und vernünftig geregelt, doch ich denke, in der Realität muss man davon ausgehen, dass entscheidende Glieder in der Kette unter Maximalbelastung im Stresstest wohlmöglich versagen, weil es ein Massenanfall von Verwundeten ist und kein isoliertes lokales Ereignis.

                  Vielleicht lässt sich noch etwas zum Thema Sichtungsarzt und Triage sagen. Ein Militärarzt entscheidet im Schnellverfahren, wer leben darf und wer sterben muss. Anders geht es nicht. Maximaler Stress, Druck, Überforderung, Übermüdung, totale Erschöpfung, es werden nicht immer die richtigen Entscheidungen sein. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass es zu allergrößten Spannungen, vielleicht auch unterhalb des SanPersonals kommt. Vielleicht auch ein Hauen und Stechen wie am Feldflughafen Pitomnik von Stalingrad im Jahr 1943, wo auch damals schon Sichtungsärzte oder befugtes SanPersonal entschieden haben, wer ausgeflogen darf und wer nicht.
                  Auch der Sichtungsarzt im TVP hat vielleicht nicht einmal eine Zigarettenlänge Zeit, zu entscheiden, ob Müller jetzt zum HVP ausgeflogen wird oder nicht. Vielleicht wird es Meier, der die besseren Überlebenschancen hat.

                  Jörg hat ja einmal ein Buch genannt, welches sich mit der Problematik Wehrmedizin im WK II auseinandersetzt. Ich werde das mal heraussuchen und mich mehr zu diesem Thema einlesen, weil es mich sehr interessiert.

                  Gruss
                  Zuletzt geändert von EmilBerggreen; 19.10.2020, 06:09.

                  Kommentar

                  • DeltaEcho80
                    Cold Warrior
                    • 09.03.2013
                    • 1690

                    #24
                    Zitat von EmilBerggreen Beitrag anzeigen

                    Vielleicht lässt sich noch etwas zum Thema Sichtungsarzt und Triage sagen. Ein Militärarzt entscheidet im Schnellverfahren, wer leben darf und wer sterben muss. Anders geht es nicht. Maximaler Stress, Druck, Überforderung, Übermüdung, totale Erschöpfung, es werden nicht immer die richtigen Entscheidungen sein. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass es zu allergrößten Spannungen, vielleicht auch unterhalb des SanPersonals kommt. Vielleicht auch ein Hauen und Stechen wie am Feldflughafen Pitomnik von Stalingrad im Jahr 1943, wo auch damals schon Sichtungsärzte oder befugtes SanPersonal entschieden haben, wer ausgeflogen darf und wer nicht.
                    Auch der Sichtungsarzt im TVP hat vielleicht nicht einmal eine Zigarettenlänge Zeit, zu entscheiden, ob Müller jetzt zum HVP ausgeflogen wird oder nicht. Vielleicht wird es Meier, der die besseren Überlebenschancen hat.

                    Gruss
                    Hallo Emil,

                    hier hast du eigentlich im letzten Absatz deiner Ausführungen genau den Kern des Problems erkannt. Irgendwann, irgendwo muss einer entscheiden, was mit dem so massiv verwundeten Kameraden aus deinem Beispiel passiert. Hier muss dann im Endeffekt einer Herr über Leben und Tod spielen. Das war in Stalingrad so und wäre später genauso gewesen. Wobei natürlich Stalingrad und Pitomnik ein Extrempunkt war, an dem es um das blanke Überleben ging. "Entscheidende Glieder in der Kette unter Maximalbelastung" trifft es eigentlich gut.

                    Das ist aber inzwischen in der zivilen Notfallmedizin bei Terrorlagen oder ManV sehr ähnlich. Triage, gelber Zettel am Fuss und in Kategorien eingeteilt. Hier ist dann übrigens auch das ureigenste Prinzip der deutschen Notfallmedizin, dass jeder Patient sofort die bestmögliche Versorgung erfahren soll, zunächst außer Kraft gesetzt. Es geht in der Chaosphase des Einsatzes nur um das Zählen und Sichten der Verletzten.

                    Wobei du natürlich auch beachten musst, dass die medizinische Behandlung an sich im Jahre 1986 anders aussieht als 2020. Auch in der militärischen Notfallmedizin.

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                    • EmilBerggreen
                      Cold Warrior
                      • 19.07.2015
                      • 514

                      #25
                      Moin Delta,

                      absolut! Kennst Du Dich mit Notfallmedizin aus? Mich würde einmal interessieren, was mit Soldaten passiert, die mehrfache Lungenschüsse erhalten. Wenn nur ein Lungenflügel betroffen ist, gibt es wohl noch eine Überlebenschance. Der Lungenflügel fällt in sich zusammen, kollabiert. Thema Spannungspneumothorax. Komplikationen gibt es, wenn Rippen getroffen werden und neben der "Kavitation" des oder der Projektile auch noch Knochensplitter das Lungengewebe perforieren.
                      Ich denke, in der Wehrmedizin kommen im Gegensatz zur zivilen Notfallmedizin noch viele andere Faktoren erschwerend hinzu. Erschöpfung, Ermüdung, Unterkühlung, extreme Stress-Situation, Extremsituation, Nässe, Dreck, der Wunden verunreinigt, schlechte Sichtverhältnisse, und, und, und.

                      Gruss

                      Kommentar

                      • klaus_erl
                        Cold Warrior
                        • 14.04.2013
                        • 1052

                        #26
                        Zitat von DeltaEcho80 Beitrag anzeigen
                        Das ist aber inzwischen in der zivilen Notfallmedizin bei Terrorlagen oder ManV sehr ähnlich. Triage, gelber Zettel am Fuss und in Kategorien eingeteilt. Hier ist dann übrigens auch das ureigenste Prinzip der deutschen Notfallmedizin, dass jeder Patient sofort die bestmögliche Versorgung erfahren soll, zunächst außer Kraft gesetzt. Es geht in der Chaosphase des Einsatzes nur um das Zählen und Sichten der Verletzten.
                        Dazu kann ich ein Video aus der ARD-Mediathek über einen realen Einsatz mit Massenanfall an Verletzten und Toten empfehlen: https://www.ardmediathek.de/mdr/vide...IzZTk0MDcyODI/
                        Es handelt von der Massenkarambolage im Jahr 1990 auf der A9 in der Münchberger Senke. Bezüglich Triage kommt so etwa ab Minute 25 ein damals beteiligter Rettungssanitäter zu Wort.

                        Persönlich kenne ich einen Münchberger Feuerwehrmann, der bei diesem Unfall mit 10 Toten und über 100 Verletzten, der Massenkarambolage 2003 mit mehr als 50 Verletzten und dem Busunglück 2017 mit 18 Toten und rund 30 Verletzten dabei war. Er selbst brauchte diese Entscheidungen nicht zu treffen. Es fällt ihm heute noch schwer über seine Erlebnisse zu sprechen was ich voll und ganz respektiere. Was ihn aber mehr getroffen hat als die Unfälle und deren Opfer war die Frage eines Reporters nach dem Busunfall, wann denn endlich die Profis zum Einsatz kämen, er sähe nur Autos der freiwilligen Feuerwehr.

                        Klaus
                        Zuletzt geändert von klaus_erl; 20.10.2020, 12:56.

                        Kommentar

                        • EmilBerggreen
                          Cold Warrior
                          • 19.07.2015
                          • 514

                          #27
                          Hallo Klaus,
                          ein sehr guter Hinweis! Danke für die Quelle.
                          Gruss

                          Kommentar

                          • DeltaEcho80
                            Cold Warrior
                            • 09.03.2013
                            • 1690

                            #28
                            Zitat von EmilBerggreen Beitrag anzeigen
                            Moin Delta,

                            absolut! Kennst Du Dich mit Notfallmedizin aus? Mich würde einmal interessieren, was mit Soldaten passiert, die mehrfache Lungenschüsse erhalten. Wenn nur ein Lungenflügel betroffen ist, gibt es wohl noch eine Überlebenschance. Der Lungenflügel fällt in sich zusammen, kollabiert. Thema Spannungspneumothorax. Komplikationen gibt es, wenn Rippen getroffen werden und neben der "Kavitation" des oder der Projektile auch noch Knochensplitter das Lungengewebe perforieren.
                            Ich denke, in der Wehrmedizin kommen im Gegensatz zur zivilen Notfallmedizin noch viele andere Faktoren erschwerend hinzu. Erschöpfung, Ermüdung, Unterkühlung, extreme Stress-Situation, Extremsituation, Nässe, Dreck, der Wunden verunreinigt, schlechte Sichtverhältnisse, und, und, und.

                            Gruss
                            Auskennen wäre übertrieben, aber da wir bei uns im Ort eine "Helfer vor Ort" bzw. "First-Responder"-Gruppe haben, der ich angehöre, bekommen wir in regelmäßigen Abständen Fortbildungen, u.a. auch zum Thema "Amok - und Terrorlagen". Hier bekommen wir die Vorgehensweise usw. näher gebracht, da wir das auch wissen müssen/sollen. Weiter fährt ein guter Bekannter und Nachbar von mir als Notarzt und wir unterhalten uns viel.

                            Ein Spannungstpneumo ist auf jeden Fall akut lebensbedrohlich und sogar noch die Steigerung eines "normalen" Pneumothorax. Da wird der von dir im genannten Beispiel verwundete Soldat nicht lange überleben, die Frage ist, ob er es überhaupt bis zum Abtransport mit dem SAN MTW "schafft". Hier muss normal sofortige Druckentlastung der Lunge erfolgen. Wenn dann der "Rest" der Lunge noch anderweitig verletzt ist, wird es ganz schwierig, den jungen Mann unter den gegebenen "feldmäßigen" Umständen am Leben zu erhalten. Seine davor gute Konstitution wird ihm leider da dann auch nicht viel helfen. So ehrlich muss man das jetzt sagen.

                            Kommentar

                            • dave2006
                              Cold Warrior
                              • 17.11.2006
                              • 102

                              #29
                              Hallo Emil und DeltaEcho,
                              Thorax Entlastung wird heute auf dem Ersthelfer Bravo gelehrt. Seit knapp 10 Jahren gibt es diesen Lehrgang jetzt in "ausgewählten" Einrichtungen des ZSan. Beim Helfer im SanDst der 80er Jahre und der damaligen Selbst und Kameradenhilfe war das kein Thema.
                              Selbst in der AGA SanDst wurde das nur angesprochen.

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                              • DeltaEcho80
                                Cold Warrior
                                • 09.03.2013
                                • 1690

                                #30
                                Hallo Dave,

                                da Emil das Beispiel mit der Annahme 1986 durch exerziert hat, habe ich so geantwortet.

                                Danke für die Info, Ersthelfer Bravo und Thoraxentlastung habe ich bislang nicht gewusst.

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