HStr IV und die Sankette

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  • EmilBerggreen
    Cold Warrior
    • 19.07.2015
    • 514

    #1

    HStr IV und die Sankette

    Moin,

    hat jemand von Euch eine genauere Vorstellung, wie damals die Sankette angedacht war?

    Lage: Nächtlicher Feuerkampf. Ein oder mehrere Soldaten i. Gefecht verwundet.

    1. Die unterschiedlichsten Verletzungsbilder: Schusswunden, Lungendurchschuss, Wirbelsäulensteckschuss, Splitterverletzungen, Brandwunden, abgetrennte Gliedmaßen
    2. Maßnahme: Ruhe bewahren u. Schreck überwinden. Kameraden müssen sofort Feuerüberlegenheit herstellen, um Kamerad sicher aus dem Feuerkampf heraus zu bergen
    3. Selbst- u. Kameradenhilfe mit Bergegriffen wie Ziehen a.d. Koppel, Seitenschleiftrick, Rückenschleiftrick, Nackenschleiftrick. Im Idealfall: einer hält Gegner mit dem MG nieder und zwei andere ziehen den Schwerverletzten aus der Feuerzone. Höchstes Gebot der Kameradschaft ist es, einen verwundeten Kameraden beim Ausweichen vor dem Feind nicht liegenlassen (Zitat: Reibert, 1986).
    4. Kameradenhilfe gilt auf für verwundetem Feind? Ja, da Ehrenkodex oder sogar völkerrechtlich vorgeschrieben aber in Praxis bei Massenanfall eigener Verwundeter … ich habe da keine Antwort darauf
    5. Transport zum Verwundetennest, gekennzeichnet mit rotem Kreuz. Dort Erstversorgung durch Ersthelfer. Schockbekämpfung, Blutstillen, Druckverband schon durch bergende Kameraden oder nur durch ausgebildete Ersthelfer (der Kp, dem Zg abgestellte SanGrp). Feststellung, ob Verwundeter transportfähig ist oder nicht. Falls nicht, was dann? Der Rettungshubschrauber kann schwerlich genau vor dem Verwundetennest landen
    6. Transport vom Verwundetennest zum TVP (Truppenverbandsplatz). In der heißen Gefechtszone mittels SanMTW – 4 Liegeplätze und äußerlich durch weißen Kreis mit rotem Kreuz gekennzeichnet. Gepanzertes Fahrzeug soll vor Beschuss schützen
    7. Versorgung am TVP, also im Rückwärtigen Bataillonssektor. Dort weitere Erst-/Zweitversorgung durch Ersthelfer und ausgebildetes Sanpersonal. Sichtung durch TrArzt. Ärztliche Entscheidung: Not-OP, sofort Bluttransfusion, Morphium gegen starke Schmerzen verabreichen oder hoffnungsloser Fall? Patient würde keine weitere Behandlung überleben, was geschieht mit diesen Personen, die die nächste Stunde nicht überleben werden.

    Welchen Entscheidungsspielraum haben der TrArzt (OStArzt) und seine Helfer (StArzt)? Und ich rede hier von einem unerwarteten Massenanfall von Schwerverletzten und Sterbenden, wo im Einzelfall nicht die Zeit ist, abgewogene Entscheidungen über Leben und Tod zu fällen, sondern wenn der TVP mit Verwundeten „überrannt“ wird?
    1. Weiterversorgung nach Aufnahme am TVP. Weitertransport ins BW-Krankenhaus Hamburg-Wandsbek falls möglich oder in ein nahegelegenes Lazarett/Feldlazarett?
    2. Sammelstelle für Leichtverletzte. Was geschieht mit den Leichtverletzten? Werden diese verbunden und nach einer gewissen Zeit wieder ihrem Truppenteil zugeführt?


    Bin neugierig auf Eure Antworten,

    Viele Grüße,
    Emil
  • Nemere
    Cold Warrior
    • 12.06.2008
    • 2806

    #2
    1. Die „Sankette“ nennt sich „Gang der Verwundetenversorgung“.

    2. „Welchen Entscheidungsspielraum haben der TrArzt (OStArzt) und seine Helfer (StArzt)?“
    Ein Bataillon der HStr. 4 hatte nur einen Arzt.

    3. Die Aufgaben des Truppenarztes im Gefecht sind in fast allen Truppen-Vorschriften annähernd gleichlautend beschrieben. So steht z.B. in der HDv 211/100 „Das Jägerbataillon“, Nr. 1609:

    „Auf dem Truppenverbandplatz erhalten die Verwundeten truppenärztliche Behandlung. Der Truppenarzt sichtet die Verwundeten, nimmt eine lebensrettende Behandlung vor und stellt die Transportfähigkeit her.
    Leichtverwundete behandelt er abschließend und entscheidet darüber, ob sie zu ihrer Einheit zurückkehren oder ob sie vorübergehend bei den Rückwärtigen Versorgungsdiensten eingesetzt werden sollen.“


    Operationen im klassischen Sinne finden auf dem Truppenverbandplatz nicht statt

    4. Entscheidend ist, dass der Truppenverbandplatz so schnell wie möglich von Verwundeten geräumt wird. Dazu sagen die Vorschriften (HDv 211/100, Nr. 1612, 1613):
    „1612. Verwundete, die eine weitere Behandlung benötigen, werden zur nächsten rückwärtigen Sanitätseinrichtung transportiert. Der Truppenarzt regelt den Transport, unterstützt vom Führer der Verbandplatzgruppe.
    1613. Damit eine rasche Versorgung der Verwundeten gewährleistet ist, nutzt der Truppenarzt in Absprache mit dem S4-Offizier, zurückfahrende Versorgungsfahrzeuge für den Transport von Leichtverwundeten.
    Für Schwerverwundete ist der Krankenkraftwagen der Verbandplatzgruppe einzusetzen. Reicht dieser nicht aus. Beantragt der Truppenarzt zusätzlichen Verwundetentransportraum bei der unterstützenden Sanitätseinrichtung.“


    5. Das Sanitätsbataillon der Division richtet im Brigadegebiet, etwa 2 – 5 km hinter den Truppenverbandplätzen sog. „Wagenhalteplätze“ ein. Hier stehen mehrere Krankenkraftwagen, die Verwundete von den TrVerbPl aufnehmen, so dass die Fahrtstrecken der KrKw der Kampftruppenbataillone möglichst kurz gehalten werden.

    6. Von den Wagenhalteplätzen werden die Verwundeten zu den Hauptverbandplätzen verlegt, die vom Sanitätsbataillon der Division im rückwärtigen Divisionsgebiet, ggf. auch an der Grenze zum rückwärtigen Brigadegebiet angelegt werden. Hier finden Operationen auch umfangreicherer Art statt. Die Sanitätsbataillone der Korps verdichteten diese Organisation oder dienten zur Schwerpunktbildung.

    7. Von den Hauptverbandplätzen geht es dann weiter zur Lazarettorganisation des Territorialheeres. Die verlegefähigen Lazarette 200 der Wehrbereichskommandos können dabei bis an die rückwärtige Grenze des Divisionsgebietes vorgeschoben werden, die stationären Reservelazarette finden wir rückwärts des Korpsgebiets. Bundeswehrkrankenhäuser wurden, da nicht verlegefähig, analog zu den stationären Reservelazaretten eingesetzt. Sie trugen am Beginn eines Krieges die Hauptlast der chirurgischen Versorgung, weil die Reservelazarette erst aufgestellt werden mussten.
    Den Kader für die Lazarette 200 und einen Teil der Reservelazarette stellten die im Frieden in den Kasernen vorhandenen Sanitätszentren.
    Siehe dazu die beigefügten Skizzen.

    8. Ab der Ebene Korps gab es eigene Einheiten für den Verwundetentransport, die für einen schnellen Rücktransport eingesetzt werden konnten. Das Korps hatte ein Krankentransportbataillon und 5 Krankentransportzüge Schiene, das TerrKdo hatte Krankentransportzüge Schiene und das WBK Krankenkraftwagenkompanien Großraum und Krankentransportzüge Schiene.

    10. Auf jeder Ebene konnten Hubschrauber zum Verwundetentransport eingesetzt werden. Anmerkung: Hubschrauber waren immer absolute Mangelware, weil viel zu wenige vorhanden waren und sich alle möglichen Stellen darum prügelten: Der Taktiker für seine Luftlandekräfte und für die Überwachung von Räumen, der Fernmelder für luftbewegliche Befehlsstellen, der Logistiker für die Luftversorgung und der Leitende Sanitätsoffizier für die Verwundeten.

    11. Der absolute Schwerpunkt von der Anzahl der eingesetzten Einheiten und damit auch vom Personal lag beim Territorialheer. Beim Feldheer (ohne LANDJUT) gab es 3 Sanitätskommandos, 20 Sanitätsbataillone und einige Sanitätskompanien. Beim TerrH waren es 2 Sanitätskommandos, 10 Sanitäts- bzw. Lazarettregimenter, 13 Sanitätsbataillone, 153 Reservelazarettgruppen und 34 Lazarette 200

    Der Ablauf ist auch in dem auszugsweise beigefügten Artikel aus der Truppenpraxis 11/1980 beschrieben.

    Literatur:
    Ewert, Karsten: Sanitätsdienst des Heeres, In: Truppenpraxis 11/1980, S. 925 – 928.
    Grunwald, E. / Vollmuth, R.: Der Sanitätsdienst – Entstehung und Entwicklungen. In: Bremm / Mack / Rink (Hrsg.), Entschieden für Frieden. 50 Jahre Bundeswehr. 1955 bis 2005, Freiburg i.Br. 2005, S. 183–198.
    Stolze, Hans Jürgen: Taschenbuch für den Sanitäts- und Gesundheitsdienst der Bundeswehr. 20. Folge , Koblenz 1988.
    HDv 100/400 Logistik und Sanitätsdienst des Heeres (TF/Log/San)
    STANAG 2061 Verlegung und Abtransport alliierter Verwundeter und Kranker durch die Sanitätseinrichtungen
    Angehängte Dateien

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    • DeltaEcho80
      Cold Warrior
      • 09.03.2013
      • 1690

      #3
      Hallo nemere,

      vielen Dank für die umfassenden und wie immer fundierten Informationen.

      Heutzutage läuft das etwas anders ab, oder? Auch aus den Erfahrungen der Einsätze heraus: Erstversorgung möglichst umfassend direkt nach Verwundung -> schneller Abtransport mittels Hubschrauber bzw. gepanzertem Transportraum.

      Kommentar

      • EmilBerggreen
        Cold Warrior
        • 19.07.2015
        • 514

        #4
        Wahnsinn! Eine exzellente Antwort. Ganz herzlichen Dank an Nemere!

        Kommentar

        • EmilBerggreen
          Cold Warrior
          • 19.07.2015
          • 514

          #5
          Nemre, noch eine große Bitte an Dich.
          Wenn Du im Besitz d. HDv "Das Jägerbataillon" bist, magst Du vielleicht die StAN-Gliederung eines JgBtl vorstellen? Die JgKp waren damals anders gegliedert als die der PzGren. SPz Marder 6 i. Hinteren Kampfraum aber MTW d. JgTr war stärker besetzt.
          Das wäre wirklich großartig!
          Ich weiß, das gehört jetzt nicht zu diesem Thema.
          Viele Grüße

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          • Nemere
            Cold Warrior
            • 12.06.2008
            • 2806

            #6
            Zitat von DeltaEcho80 Beitrag anzeigen
            Heutzutage läuft das etwas anders ab, oder? Auch aus den Erfahrungen der Einsätze heraus: Erstversorgung möglichst umfassend direkt nach Verwundung -> schneller Abtransport mittels Hubschrauber bzw. gepanzertem Transportraum.
            Die Verwundetenversorgung in der HStr. IV war vor allem auf den Massenanfall von Verwundeten unter den Bedingungen eines beweglich geführten Gefechts hoher Intensität ausgerichtet. Es kam darauf an, die Verwundeten so schnell wie möglich aus der Kampfzone nach hinten in die Lazarette zu bringen. Man hatte deswegen auch keine Feldlazarette im Brigadegebiet oder vorne im Divisionsgebiet mehr vorgesehen, weil es sich herausgestellt hatte, das diese viel zu oft hätten verlegt werden müssen. In den Heeresstrukturen 2 und teilweise noch 3 hatten die Divisionen noch Feldlazarette.

            Heute läuft die Verwundetenversorgung ähnlich wie die Rettungskette im zivilen Bereich, weil sich die Bedingungen geändert haben - gerade bei Auslandseinsätzen. Es ist nicht mehr mit einem Massenanfall von Verletzten zu rechnen, das ganze Einsatzgeschehen findet eher statisch statt.

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            • Nemere
              Cold Warrior
              • 12.06.2008
              • 2806

              #7
              Zitat von EmilBerggreen Beitrag anzeigen
              Wenn Du im Besitz d. HDv "Das Jägerbataillon" bist, magst Du vielleicht die StAN-Gliederung eines JgBtl vorstellen? Die JgKp waren damals anders gegliedert als die der PzGren. SPz Marder 6 i. Hinteren Kampfraum aber MTW d. JgTr war stärker besetzt.
              Ich kann gerne dazu etwas schreiben, aber Du solltest dann aus Gründen der Übersichtlichkeit ein eigenes Thema eröffnen.
              Zwei Hinweise:
              1. Die Bataillonsvorschrift ist nicht die StAN, man findet dort keine Hinweise über die Stärke einer JgGruppe oder die Anzahl der Feldlafetten im JgZg. Ich kann aber gerne aus der Bataillonsvorschrift z.B. die Funkeinsatzskizzen usw. einstellen, daraus erkennt man sehr schön die Gliederung bis auf Gruppenebene.
              2. "Das" Jägerbataillon als solches gibt es nicht, sondern mindestens 5 verschiedene Bataillonstypen. Die wenigsten JgBtl waren mit MTW ausgestattet. Siehe Anlage.
              Angehängte Dateien

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              • DeltaEcho80
                Cold Warrior
                • 09.03.2013
                • 1690

                #8
                Zitat von Nemere Beitrag anzeigen
                Heute läuft die Verwundetenversorgung ähnlich wie die Rettungskette im zivilen Bereich, weil sich die Bedingungen geändert haben - gerade bei Auslandseinsätzen. Es ist nicht mehr mit einem Massenanfall von Verletzten zu rechnen, das ganze Einsatzgeschehen findet eher statisch statt.
                Vor allem hat es mich positiv überrascht, wie gut und umfassend selbst die "normalen" Soldaten ausgebildet sind, das hat teilweise schon Niveau eines zivilen Rettungssanitäters. Das geht deutlich über den altbekannten "Helfer im SanDienst" hinaus. Die besonderen medizinischen Spezialisierungen z.B. der EBG-Kräfte der Fallschirmjäger noch gar nicht berücksichtigt. Die legen ja sogar Infusionen an oder verabreichen hochwirksame Schmerzmittel - was im zivilen Bereich ja nur der Notarzt darf.

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                • EmilBerggreen
                  Cold Warrior
                  • 19.07.2015
                  • 514

                  #9
                  Ein neues Thema eröffne ich doch gerne!
                  Vielen, vielen herzlichen erst einmal Dank soweit!

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                  • Schlumpf
                    Rekrut
                    • 02.11.2008
                    • 35

                    #10
                    Als ich 1997 meine Wehrdienst als Sanitäter geleistet habe, sah das alles noch anders aus. Uns wurde erklärt, dass wir das Verwundetennest betreuen sollten. Ein Sanitäter pro Sammelplatz. Wir sollten dort bereits entscheiden, welcher Verwundete einen Platz im Krkw erhalten sollte. Jeder Sammelplatz, sollte einmal täglich angefahren werden.Unsere Ausstattung war eher lächerlich. Jeder Sanitäter hatte nur seine Santasche. Sechs Verbandpäckchen und eine Staubinde,dazu ein wenig Kleinkram. Die Verbrauchsgüter sollten täglich ersetzt werden.Eingelagert, hatten wir noch gefüllte Rucksäcke. In denen waren auch Tabletten und Salben zu finden. Diese waren aber wohl für unsere Hubschrauber vorgesehen. (CH53) Hatte mir unser Versorger zumindest damals so erklärt.

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                    • EmilBerggreen
                      Cold Warrior
                      • 19.07.2015
                      • 514

                      #11
                      Okay, verstehe.
                      Hatte das Verwundetennest immer als eine Art "Provisorium" gesehen, wo die Verwundeten eines Zuges, der gerade das Feuergefecht führt, gesammelt werden und dass die Sanitäter mit ihren lebensrettenden Maßnahmen erst später ins Spiel kommen.
                      Natürlich solche Dinge wie Druckverbände anlegen … etc.

                      Gem. WP
                      Ein
                      Verwundetennest ist der erste Versorgungs- und Sammelpunkt für einen Verwundeten, meist nahe dem Zugnest/"Zuggefechtsstand ". Vom Verwundetennest erfolgt dann die Übernahme durch den Truppensanitätsdienst mit Sanitätspersonal, in schweren Fällen auch durch den beweglichen Arzttrupp (BAT), der diese dann zur Rettungsstation, früher Truppenverbandplatz (TVP), verbringt.

                      Druckverband - vielleicht die wichtigste lebensrettende Maßnahme, um die Blutung zu stoppen. Ich meine das einmal von einem ehemaligen Sani gehört zu haben. "Blutung stoppen und egal, ob da Schmutz reinkommt - Infektionen kann man später noch immer bekämpfen - Hauptsache, er schafft es erst einmal weiter".
                      Schusswunden sind eine Sache aber was ist mit Kombinationen aus Schuss- und Brandwunden, Metallsplittern (alle typischen Verletzungsbilder aus einem Panzergefecht), komplizierten Knochenbrüchen, etc.?
                      Zuletzt geändert von EmilBerggreen; 15.07.2018, 16:00. Grund: Synthax

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                      • Nemere
                        Cold Warrior
                        • 12.06.2008
                        • 2806

                        #12
                        Ich befürchte fast, da kommt wieder etwas durcheinander:

                        1. Dieses Thema bezieht sich auf die Heeresstruktur IV

                        2. Schlumpf spricht in seinem Beitrag (Beitrag Nr. 10) aber von seiner Zeit als Sanitäter 1997! Das war keine Heeresstruktur IV mehr, da gab es keinen potentiellen Gegner im Osten mehr, der mit massiven Panzerkräften angerückt war, da galten völlig andere Organisationsstrukturen - auch bei den Sanitätern.

                        3. Schlumpf schreibt: "Uns wurde erklärt, dass wir das Verwundetennest betreuen sollten. Ein Sanitäter pro Sammelplatz."
                        In der Heeresstruktur IV war aber das "Verwundetennest" etwas anderes als der "Sammelplatz". Das Verwundetetennest hatte damals eher selten einen ausgebildeten Sanitäter zur Betreuung von Verwundeten, hier war vorrangig Selbst- und Kameradenhilfe. Ausnahmen gab es, wenn der Kompanie ein Santrupp zugeteilt war, wie dies meistens bei den Kampfkompanien der Fall war. Vom Verwundetennest erfolgt der Transport zum Truppenverbandplatz des Bataillons, entweder durch die Kompanie selbst oder durch einen der Santrps des Btl. Wenn dies von der Kompanie erfolgt, stand der KpChef schon wieder im Gewissenskonflikt. Nach den Erfahrungen der beiden Weltkrieg und des Koreakriegs bestand immer die Gefahr, das an sich nur leicht verwundete Soldaten von viel zu vielen Kameraden zurück- "transportiert" wurden und dadurch die Kompanien massiv an Gefechtsstärke verloren. Eine der letzten Kriegsvorschriften der Wehrmacht fordert daher: "Der Bataillonsarzt achtet darauf, daß die Kompanien unter dem Vorwand der Verwundetenfürsorge nicht an Gefechtsstärke verlieren." (HDv 130/19 - Versorgung im Grenadier-Regiment, 1945). Gerhard Elser schreibt dazu in seinem hervorragenden Kompendium "Kriegsnah ausbilden": Der Schwund an Kampfkraft ist leicht nachzurechnen, er verdoppelt und verdreifacht die tatsächlichen blutigen Verlusten, die Auswirkungen auf den Auftrag sind abzusehen. LEHRE: Nur der taktische Führer entscheidet, wer Verwundete betreut (Elser, Kriegsnah ausbilden, 1985, S. 130 ff.).
                        Im Ersten Weltkrieg nahm dieses Phänomen vor allem 1918 Ausmaße an, die von der Führung nicht mehr beherrschbar war. Man geht davon aus, das von März bis Juli 1918 nur an der Westfront mehr als 1 Million Soldaten deswegen nicht mehr greifbar war (Deist, Wilhelm: Versteckter Militärstreik im Kriegsjahr 1918?, In: Wette, Wolfram (Hrsg.): Der Krieg des kleinen Mannes - eine Militärgeschichte von unten, München 1992, S. 157. Deist verwendet als Quelle vor allem den ein sehr exaktes Zahlenmaterial bietenden "Sanitätsbericht über das Deutsche Heer im Weltkriege 1914 - 1918, hier Band 3, S. 61, 758, 765, 774 ff.)
                        Hier schlugen auch die geringen Personalstärken der Züge in der Heeresstruktur IV voll durch: SPz-Züge mit zwei Gruppen, Absitzstärken des Zuges von noch nicht mal 20 Solaten usw. Zwei Verwundete mit je zwei Begleitpersonen und ein Drittel der abgesessen kämpfenden Grenadiere sind verschwunden.

                        4. "Sammelpunkte" für Verwundete konnten dagegen von der San-Truppe betrieben werden. Das waren z.B. die Wagenhalteplätze in der Nähe der Truppenverbandplätze, wo KrKw für den Weitertransport bereitstanden. Bis zum Ende der Heeresstruktur 3 gab es bei den Korps-Sanitätsbataillonen und bei den Sanitätsbataillonen des Territorialheeres sogar eigene "Sanitätssammelkompanien", die solche Sammelpunkte einrichteten und dazu bis in das Divisionsgebiet vorgeschoben wurden (Taschenbuch für den Sanitäts- und Gesundheitsdienst der Bundeswehr, 14. Folge - 1972, S. 30 ff.)

                        Grüße
                        Jörg

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                        • EmilBerggreen
                          Cold Warrior
                          • 19.07.2015
                          • 514

                          #13
                          Ganz wichtiger Punkt, wäre ich so auch noch nicht darauf gekommen.

                          Was wäre eigentlich mit Leichtverletzten oder möglichen Simulanten gewesen? Jemand gibt z.B. vor, ein schweres Knalltrauma (nach einem Panzergefecht) zu haben. Äußerliche Verletzungen nicht zu sehen.
                          Kommt der dann auch in den TVP, wo dann der BtlArzt entscheidet, dass der Kamerad voll verwendungsfähig ist?

                          Kommentar

                          • Nemere
                            Cold Warrior
                            • 12.06.2008
                            • 2806

                            #14
                            Über solche Fragen wird natürlich der Arzt entscheiden müssen. Wenn der Truppenarzt das nicht sicher beurteilen kann, gibt es dann spätestens auf der Ebene der Reservelazarettorganisation entsprechende Facharztgruppen, z.B. für HNO oder Neurologie/Psychiatrie. Außerdem ist bei "Simulanten" immer auch die wehrstrafgerichtliche Seite zu prüfen: § 18 WStG Dienstentziehung durch Täuschung, bei möglichen Selbstverstümmelungen- also Selbstzufügen von Verwundungen ist der § 17 WStG einschlägig. In beiden Fällen ist bereits der Versuch strafbar.
                            Hier kämen dann die Wehrgerichte ins Spiel, die es ab Divisionsebene gab.

                            Kommentar

                            • EmilBerggreen
                              Cold Warrior
                              • 19.07.2015
                              • 514

                              #15
                              Moin zusammen,


                              habe noch einmal das alte Thema herausgekramt. Auch die von Jörg erwähnte Quelle "Kriegsnah ausbilden". Dort findet man die Aussage: "Was eine Truppe taugt, zeigt sich besonders an ihrem Sanitätsdienst".
                              Aus damaliger Erfahrung kann ich sagen: ja, Selbst- u. Kameradenhilfe wurde b.d. PzGrenTr hochgehalten und auch intensiv geübt, also z.B. Bergen von Kameraden aus verschiedenen Situationen, etc. Von der SanTruppe kann ich nicht sprechen, meine mich aber daran zu erinnern, dass sie in den entscheidenden Momenten "unterrepräsentiert" war. Ein SanTrp pro Kampfkompanie - ich wusste z.B. nicht, wo unser Verwundetennest war, wenn wir überhaupt eines hatten. Es ist aber schon zu lange her, um sich noch einigermaßen erinnern zu können.

                              Die Erfahrungen aus "Kriegsnah ausbilden" basieren ja auf WK II-Erfahrungen. Aber in Erwartung eines ABC-Krieges oder zumindest konventionellen Krieg mit teilweise C-Kriegsführung und deutlich intensiverer Waffenwirkung - kann man dann nicht von deutlich erhöhten Ausfall- und Verwundetenraten ausgehen und hätte nicht vielleicht mit deutlich höheren SanKapazitäten rangehen sollen? Es gibt ja Casualty Estimations, Hochrechnungen basierend auf Konflikten der Vergangenheit. Es gibt sie ja vielleicht die Näherungrechnungen zu Ausfallrate PzKp / PzGrenKp / Jg Jp bei verschiedenen Gefechtsintensitäten, Operationsarten Vzö, Vtg, Angriff, etc.
                              Ehemalige Zeitsoldaten berichten, dass man die Dimension des SanWesen für den V-Fall mehr oder weniger "ausgeblendet" hat, will heißen, dass die Vorstellungskraft vielleicht nicht reichte. Jetzt mal überspitzt gesagt: kann man die durschnittliche Überlebensrate eines Panzersoldaten i.d. Panzerschlacht bei Kursk mit einer möglichen Gefechtssituation im FULDA GAP/Osthessen auch nur im Entferntesten in Beziehung setzen oder ist das aufgrund der Waffentechnologie 40 Jahre in der Entwicklung weiter wie Äpfel mit Birnen vergleichen? Die Bedrohungslage eines WK III in d. 1980er Jahren wäre doch wesentlich omnipräsenter als zur Zeit des WK II, wenn man Nachtgefechte teilweise durch WBG etc. wie am Tag führen kann oder wenn Frontflieger wie HIND-Kampfhubschrauber dazukommen.

                              Vielleicht gibt es ja entsprechende Papiere der SanTruppe, wo man sich über diese Dinge Gedanken gemacht hat, angefangen mit ganz fundamentalen Fragen: wieviele Blutkonserven in den drei wichtigsten Blutgruppen brauche ich an Gefechtstagen mit unterschiedlicher Intensität.

                              ARTIKEL: WEHRMEDIZINISCHE MONATSSCHRIFT 3-4/2019
                              Die Versorgung der Bundeswehr und der Nationalen Volksarmee mit Blut- und Blutbestandteilkonserven in einem möglichen -bewaffneten Konflikt – ein medizinhistorischer Vergleich [wurde wahrscheinlich schon einmal gepostet]


                              Grüße

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