Ralf Raths über Geschichtswissenschaften

Einklappen
X
 
  • Zeit
  • Anzeigen
Alles löschen
neue Beiträge
  • EmilBerggreen
    Cold Warrior
    • 19.07.2015
    • 514

    #1

    Ralf Raths über Geschichtswissenschaften

    Frohes Neues Jahr für Euch alle!

    Dieses wirklich sehenswerte Video wollte ich Euch nicht vorenthalten:
    https://www.youtube.com/watch?v=sXb-eveJuXA

    DIREKTOR DES PANZERMUSEUMS SPRICHT KLARTEXT: DIE BESTE ARMEE DES JAHRHUNDERTS! [SSP028]

    Ein hervorragender Aufhänger über die Themen Geschichtsverklittung, Landser-Lagerfeuerromantik und tatsächlicher analytischen Geschichtswissenschaften / Militärgeschichte.

  • Nemere
    Cold Warrior
    • 12.06.2008
    • 2823

    #2
    Vielen Dank für den Hinweis auf dieses interessante Video.

    Ein interessanter provokativer Ansatz, aber doch eigentlich nichts Neues. Die Feststellung, dass Armeen, Waffensysteme usw. immer aus ihrer Zeit und aus den zu dieser Zeit gegebenen technischen Möglichkeiten verstanden werden müssen, ist doch eigentlich seit Jahrzehnten Allgemeingut in der seriösen Militärgeschichte und wurde auch im Forum schon hin und wieder thematisiert. Ich entsinne mich einer Diskussion hier, als es um die Erstausrüstung der Bundeswehr ging. Von einer Reihe von Lesern wurden z.B. M 47, M 42 oder die amerikanischen Panzerhaubitzen als Schrott abgetan. Was übersehen wurde, war die Tatsache, dass es 1955/56 nichts Besseres in ausreichender Anzahl gab.

    Ob die Napoleonische Armee tatsächlich die Beste war, darüber kann man trefflich streifen. Jede Armee, die etwas Neues aufbringt, wird in ihrem Wirkungskreis für eine begrenzte Zeit die „Beste“ sein. Das konsequent durchgezogene Divisionssystem und die weitgehende Selbständigkeit detachierter Korps war sicherlich ein Erfolgsrezept der Franzosen. Ob die Versorgung aus dem Lande selbst wirklich das Gelbe vom Ei war, sei dahingestellt. Zum einen gab es diesen Notbehelf (denn nichts anderes ist es) schon seit dem dreißigjährigen Krieg, diese Maxime hat schon Wallenstein aufgestellt. Zum anderen war dieses System nur über begrenzte Zeiträume und unter einigermaßen zivilisierten mitteleuropäischen Verhältnissen durchführbar. Es stieß bereits im 30-jährigen Krieg an seine Grenzen, als sich irgendwann die Bauern zusammenrotteten und gegen die plündernden Soldatenhorden höchst erfolgreich vorgingen. In den letzten Jahren dieses Krieges gab es in Deutschland weite Landstriche, die von zu Fuß marschierenden kleineren Truppenverbänden nicht mehr passiert werden konnten, weil sie von den Bauern vernichtet wurden. Dort konnten sich nur noch schnell bewegliche Kavallerieverbände bewegen. Napoleon selbst hat zwei mal erlebt, dass seine Versorgung aus dem Lande selbst nicht mehr funktionierte. Einmal in Spanien (damals kam der Begriff „Guerilla“ auf) und dann eben in Rußland, was letztlich sein Ende einläutete.

    Man könnte genauso behaupten, die preußische Armee ab 1813 war die Beste:
    1806 war die preußische Armee immer noch weitgehend im längst überholten friderizianschen System erstarrt und hatte es sich auf den Lorbeeren des Alten Fritz gemütlich gemacht, Reformbestrebungen konnten sich nicht entwickeln. Es kommt bei Jena und Auerstedt zu einer katastrophalen Niederlage, gefolgt von einer nahezu totalen Entmilitariserung Preußens und massiven Landverlusten. In den Folgejahren wird nicht nur eine völlig neue Armee mit modernisierter Taktik aufgebaut, sondern auch geradezu revolutionäre Systeme der Personalergänzung geschaffen (Krümpersystem, Landwehr). Und nur sieben Jahre nach Jena und Auerstedt ist diese neue Armee auf einmal in der Lage, zusammen mit den Verbündeten, die „beste Armee des Jahrhunderts“ bei Leipzig und Waterloo zu schlagen.

    Wenn man völlig andere Maßstäbe ansetzt, war die beste Armee des 19. Jahrhunderts vielleicht die kleine Gruppe Apachen unter Geronimo, die bis 1886 höchst erfolgreich Krieg gegen die amerikanische und mexikanische Armee führte. Geronimo hatte zuletzt noch 36 Krieger, gegen die 5000 US-Soldaten, 3000 Mann mexikanische Truppen und mehrere hundert indianische Scouts aufgeboten wurden. Geronimo gilt bei US-Army heute noch als ein Vorbild für erfolgreiche unkonventionelle Kriegführung.

    Die Frage ist eben, was man für Maßstäbe und Kriterien für eine „beste Armee“ ansetzt. Das vermisse ich in dem Video von Herrn Raths. Als Maßstab kann man eigentlich nur nehmen, ob diese Armee ihren Auftrag langfristig erfüllt hat.
    Eine wirklich „beste Armee“ war daher sicher die römische Armee, die Legionen. Immerhin hat es diese Streitmacht (in Zusammenwirken mit fähigen Staatsmännern!) über einige Jahrhunderte hin geschafft, das römische Weltreich zusammenzuhalten. Was sind dagegen die kaum zwanzig Jahre der napoleonischen Truppen.
    Wenn man die Auftragserfüllung als Maßstab anlegt, dürften die Vietcong in der Rangfolge der „besten Armeen“ weit vorne stehen. Sie haben zum einen die Befreiung ihres Landes von den Kolonialherren erreicht und sie haben vor allem den ersten Grundsatz der Guerilla-Kriegführung hervorragend erfüllt: Nie vom Gegner besiegt werden. General Giap konnte weder von den Franzosen noch von den USA besiegt werden, selbst die Chinesen zogen sich im vietnamesisch-chinesischen Grenzkrieg nach hohen Verlusten 1979 wieder aus Nordvietnam zurück.
    Ähnlich positiv wird man die britische Marine und die britischen Land-Streitkräfte zwischen 1750 und 1914 sehen können. Trotz der einen oder anderen Niederlage (amerikanischer Unabhängigkeitskrieg) haben diese Truppen es doch über mehr als 150 Jahre geschafft, ein weltumspannendes Empire zu sichern. Übrigens – auch wenn Napoleon vielleicht die beste Armee des 19. Jahrhunderts hatte, so hat er doch nicht begriffen, das ohne entsprechende Seemacht auf Dauer nichts zu gewinnen war. Die französische Marine gehörte zu Napoleons Zeiten sicher nicht zu den Besten, was sich in Schlachten von Abukir 1798 und Trafalgar 1805 zeigte.
    Komplett versagt hat dagegen die deutsche Marine im Ersten Weltkrieg, die man 1914 neben der britischen auch als eine der „besten“ Flotten der Welt sah. Der Auftrag, eine Blockade der deutschen Küsten zu verhindern, wurde nicht einmal ansatzweise erfüllt, allerdings spielte hier neben militärstrategischen Gründen auch die Person des Kaisers eine große Rolle.

    Und damit kriege ich den Dreh zu meinem Hauptkritikpunkt an dem Video von Raths. Als moderner Militärhistoriker sollte er wissen, das heute Militärgeschichte nicht mehr allein das Darstellen von Schlachten oder das Bewerten technischer und taktischer Gegebenheiten ist. Militärgeschichte ist immer in die Politik- und Gesellschaftsgeschichte eingebunden. Raths müsste wissen, das die „beste Armee“ Napoleons genauso ein Instrument des Aggressors und Diktators Napoleon war, wie die Wehrmacht ein Terrorinstrument Hitlers war. Darüber verliert er kaum ein Wort.
    Wenn man sich Kommentare zu diesem Video durchliest, vor allem die Kommentare oben unter der vom Panzermuseum angepinnten Aufforderung „keine Spoiler, bitte!“ merkt man genau, welche Klientel damit bedient wird.
    Fraglich bleibt sowieso, was so ein Prädikat „Beste Armee“ bringen soll. Aber man wird zumindest angeregt, über einige Fragen militärische Effizient nachzudenken.

    Grüße
    Jörg

    Kommentar

    • Hoover
      Cold Warrior
      • 19.12.2013
      • 601

      #3
      Ralf Raths war hier absichtlich provokant, das hat eher nichts mit einer wirklichen These über "die" innovativste, beste Armee zu tun. Und die Kommentare zeigen, dass sich die meisten das Video nicht mal zuende angesehen haben. Er hat getriggert und viele sind darauf angesprungen.
      "Damals, als ich in meinem Alter war..."

      Kommentar

      • Nemere
        Cold Warrior
        • 12.06.2008
        • 2823

        #4
        Zitat von Hoover Beitrag anzeigen
        Er hat getriggert und viele sind darauf angesprungen.
        Das sehe ich ja gerade als Problem, damit wird doch nur wieder gefährliches Halbwissen verfestigt. Z.B. die Legende, das angeblich die Tirailleurtaktik der Schlüssel zum Erfolg der französischen Revolutionsarmeen und später von Napoleons Heeren war, wird immer noch verbreitet, obwohl das längst widerlegt ist. Auch sehen viele die napoleonische Armee nur im Schein der Gloire der "Alten Garde", obwohl spätestens die Grande Armee ein zusammengewürfelter Haufen aus Kontingenten aller damals von Napoleon beherrschter Staaten war, die bestimmt nicht mit einer durchgehenden hohen Motivation ausgestattet waren.
        Wie gesagt, ich sehe das Video durchaus als sehr anregend für Diskussionen. Man muß aber in der Lage sein, den doch eher begrenzten fachlichen Wert richtig einzuordnen.

        Grüße
        Jörg

        Kommentar

        • uraken
          Cold Warrior
          • 27.09.2008
          • 865

          #5
          Eine andere Definition der besten Armee wäre die Armee, die durch ihre Präsenz verhinderte, das ihr Land in die Kriege anderer hereingezogen wurde. Dann wären die schweizerische und die schwedische Armee ganz weit vorne dabei.
          Ich sehe Raths Video eher als einen Denkanstoß als eine ernsthafte Diskussion zum Thema beste Armee. Dazu war auch der zeitliche Rahmen viel zu eng.

          Kommentar

          • Nemere
            Cold Warrior
            • 12.06.2008
            • 2823

            #6
            Zitat von uraken Beitrag anzeigen
            Eine andere Definition der besten Armee wäre die Armee, die durch ihre Präsenz verhinderte, das ihr Land in die Kriege anderer hereingezogen wurde. Dann wären die schweizerische und die schwedische Armee ganz weit vorne dabei.
            Dem stimme ich vollkommen zu. Dazu gehört aber auch immer eine intelligente Staatsführung, die sich des Wertes ihres militärischen Instruments bewusst ist und die Politik des Landes dementsprechend ausrichtet.

            Kommentar

            • Hoover
              Cold Warrior
              • 19.12.2013
              • 601

              #7
              Naja, die schwedische Armee ist erst seit Mitte des 18. Jahrunderts friedfertig, nachdem 200 Jahre ununterbrochener Kriegsführung das Land ruiniert hatte. Und die Schweizer haben mit ihrer freizügigen Söldnerwirtschaft den Krieg zwar aus ihrem Land herausgehalten, aber ihre Soldaten als Mietsoldateska auch gegeneinander kämpfen lassen, wenn die Kohle stimmte.

              Ist also alles nicht immer ganz so einfach.
              "Damals, als ich in meinem Alter war..."

              Kommentar

              • uraken
                Cold Warrior
                • 27.09.2008
                • 865

                #8
                Auch die Schweden waren bis zum Ende der nordischen Kriegen alles andere defensiv. Ich hatte halten den Zeitrahmen nicht zu weit gespannt.
                Der Schlüssel für mich ist Nemeres Bemerkung, das das Militär am Ende ein Instrument ist der Staatsführung ist, die dieses verstehen und sinnvoll einsetzen muss.

                Kommentar

                • Nemere
                  Cold Warrior
                  • 12.06.2008
                  • 2823

                  #9
                  Ihr habt natürlich beide recht, aber damit sind wir bei der Frage, wie weit man den Zeitrahmen bei solchen Betrachtungen spannt. Mit den Schweizer Söldnern sind wird im ausgehenden Mittelalter und der Renaissance, gehen wir noch ein paar Jahrzehnte zurück, sind wir bei den "böhmischen Söldnern", die aus den sich auflösenden hussitischen Heerscharen entstanden sind. Damit hätten wir dann die Tschechen als kriegerisches Volk, das heute wohl keiner mehr auf dem Schirm hat.
                  Apropos Hussiten, wieder so ein Beispiel, das eine Armee für eine begrenzte Zeit in einem begrenzten Raum die "BESTE" war. Die hussitische Wagenburg im Kombination mit der Beweglichmachung der Artillerie auf Kampfwagen und dem Einsatz beweglicher Gegenangriffskräfte aus diesen Wagenburgen heraus, verlieh den Hussiten eine Zeitlang den Nimbus der Unbesiegbarkeit. Erst in der Schlacht von Hiltersried 1433 gelang es zum ersten Mal durch Verwendung einer neuen Taktik einen größeren Verband der Hussiten zu schlagen.
                  Jetzt ist in der Diskussion hier aus dem Film von Raths ein hübsches militärgeschichtliches Kolloquium geworden.

                  Grüße
                  Jörg

                  Kommentar

                  • uraken
                    Cold Warrior
                    • 27.09.2008
                    • 865

                    #10
                    Vielleicht ist das auch einen Erkenntnis- das die "beste" Armee - läßt man mal die politische Schiene außer acht -sich immer ändert. Die Geschichte ist voll von "besten" Armeen, die von der Zeit überrollt wurden. Um die beste zu seien und zu bleiben muß man bereit sein sich zu ändern und nicht stehen bleiben. Vor den Hussiten liegt ja auch noch eine lange Liste Bester wie Ritterheere, mongolische Kavaliere, Wikinger Schildwälle, römische Legionen in verschiedenen Formen, griechische Phalaxen und unzählige mehr die ich aber vermutlich auch die Geschichte schon lange vergessen hat.

                    Kommentar

                    • EmilBerggreen
                      Cold Warrior
                      • 19.07.2015
                      • 514

                      #11
                      Bei dieser Gelegenheit würde mich einmal interessieren, wie ihr die Dänische Armee (Det Danske Forsvar) und die Hjemmeværnet (Dänische Heimwehr) einschätzen würdet?
                      Kleines Land, kleine Armee aber damals mannigfaltige Bedrohungslagen.
                      Über die DK-Jütland Division habe ich leider nie Quellen gefunden (in dänischen Archiven mag es die aber sehr wohl geben).
                      Mein persönlicher Eindruck: infanteristisch stark, sehr robust und durchhaltefähig. Von Übungen und NATO-Militärwettkämpfen wie NECIC oder später Eiswolf und Blue Nail/Blå Negl hörte man immer wieder, dass die Dänen ausgesprochen gute Ergebnisse erzielt hatten. Und was Jagdkampf, Spähtrupp, etc. angeht, waren/sind die naturverbundenen Dänen ziemlich weit vorn. Okay, militärische Effizienz ist natürlich ein anderer Aspekt.

                      Kommentar

                      • Hoover
                        Cold Warrior
                        • 19.12.2013
                        • 601

                        #12
                        Natürlich ist es immer zeitlich begrenzt, in der man eine Armee als toll innovativ und führend bezeichnen kann. Denn Techniken und Taktiken werden adaptiert und verbessert, und der, der diese am Besten verbessert, wird in der nächsten Zeit führend sein. Ein ewiger Kreislauf. Napoleon ist morgend auch nciht aufgewcht, und hat seine damals "revolutionären" Änderungen am Frühstückstisch befohlen. Er hat auch die Entwicklungen und Ideen aus den vorherigen Kriegen betrachtet. Gustav Adolf II hatte für seine Reformen als Basis die holländische Heeresreform als Beispiel gehabt und machte mit der Umsetzung und Verbesserungen die schwedische Armee im 30 Jährigen Krieg jahrelang zum führenden Instrument in Europa. Es komt ja nichts aus dem Nichts.

                        Diese Diskussion hatte Raths aber sicher im Sinn, ihm ging es wohl eher um das "Triggern" der bestimmten Klientel.
                        "Damals, als ich in meinem Alter war..."

                        Kommentar

                        • Nemere
                          Cold Warrior
                          • 12.06.2008
                          • 2823

                          #13
                          Zitat von EmilBerggreen Beitrag anzeigen
                          Bei dieser Gelegenheit würde mich einmal interessieren, wie ihr die Dänische Armee (Det Danske Forsvar) einschätzen würdet?[/FONT]
                          Ich kenne die dänische Armee nur aus zwei Filmen der Krimikomödienreihe mit der „Olsen-Bande“.
                          „Die Olsenbande fährt nach Jütland“ aus dem Jahr 1971 spielt teilweise auf einen dänischen Übungsplatz in Jütland.
                          In „Die Olsenbande ergibt sich nie“ von 1979 spielt ein Panzer M 41 der dänischen Armee eine wichtige Rolle, der von Benny und Egon Olsen geklaut wird, um damit in das Haus des dänischen Premierministers einzudringen.

                          Kommentar

                          • Malefiz
                            Cold Warrior
                            • 22.12.2010
                            • 373

                            #14
                            Die schwedische Armee im 30jährigen Krieg bestand im Wesentlichen aus deutschen und schottischen Söldnern. Das

                            hatte vor drei Jahren ein Massengrab der Schlacht von Lützen analysiert. Dabei wurde mit Isotopenanalysen die Herkunft der Soldaten untersucht. War sehr sehenswert.

                            Kommentar

                            • Nemere
                              Cold Warrior
                              • 12.06.2008
                              • 2823

                              #15
                              Zitat von Malefiz Beitrag anzeigen
                              Die schwedische Armee im 30jährigen Krieg bestand im Wesentlichen aus deutschen und schottischen Söldnern.
                              Im dreißigjährigen Krieg dürfte in vielen Armeen noch ein buntes Völkergemisch von Söldner vorhanden gewesen sein, "Nationalarmeen" waren da eher selten. Das war durch das damalige System der Werbung bedingt.

                              Kommentar

                              Lädt...
                              X