ohne dass wir die genauen OpPläne der PzGrenBrig 16 vorliegen haben, bleibt es alles Spekulation wie das denn bei dieser Brigade genau abgelaufen wäre. Und zwar bräuchte man den Befehl Nr. 1 für Verzögerung und Verteidigung und vorhergehend den Befehl für den Aufmarsch.
Auf Grundlage dieser Befehle wurden die Märsche der Brigade bei der Verkehrskommandantur angerechnet und dort mit X-Zeiten (also immer beginnend mit Ablaufzeit 00:00 Uhr) gerechnet. Diese X-Zeit wurde dann im V-Fall durch die tatsächlichen Ablaufzeiten ersetzt. Im günstigsten Fall sollte der marschierende Truppenteil und die Feldjäger dann noch mit den scharfen Zeiten gerechnete Marschkredite bekommen (sollte über das HEROS-System laufen), höchstwahrscheinlich hätte man aber manuell umrechnen müssen.
Diese Marschplanungen gab es im Rahmen des Alarmsystems für die gesamte Bundeswehr, meistens bis zur Ebene selbständige Kompanie. Die Abstellung einer Panzerkompanie innerhalb der Brigade zu einem PzGrenBtl musste innerhalb der Brigade geregelt werden, genauso wie die Abstellungen des VB. Es war Sache des VB oder des FUO wie er sein Btl findet. Die FUO wurden oft bei der Befehlsausgabe am Brigadegefechtsstand direkt von "ihren" Kampftruppenkommandeuten aufgenommen.
In der FCZ wurde nach Abschluß des Aufmarsches nur bei Marschbewegungen größeren Ausmasses mit Marschkrediten gearbeitet (z.B, Herauslösen einer geschlossenen Brigade usw.)
In diese zentrale Marschplanung für den Aufmarsch fanden auch bekannte Marschbewegungen des BGS oder zivile Marschbewegungen Eingang, z.B. Bevölkerungsbewegungen, soweit diese bereits bekannt waren, Räumung von grenznahen Justizvollzugsanstalten, Evakuierung von Krankenhäusern und dergleichen mehr. Die Verkehrskommandantur legte auch in Abstimmung mit den Bedarfsträgern fest, wer bei Überschneidungen Vorrang hatte. Beim Aufmarsch war das eigentlich immer das Militär. Es konnte auch sein, dass die Verkehrskommandantur zivilen Kfz-Marsch mit relativ vielen Fahrzeugen und entsprechend langer Durchlaufzeit dann in mehrere kleine Marschgruppen (ergo geringe Durchlaufzeit) und großen Abständen zerlegte, weil man kleine Marschgruppen noch am ehesten in den Lücken zwischen den marschierenden Militärkolonnen über eine stark frequentierte Kreuzung brachte. Wenn es trotzdem zu einem Aufeinandertreffen ziviler und militärischer Marschgruppen kam, dann fuhr auf jeden Fall beim Aufmarsch zuerst die Militärkolonne. Durchzusetzen wäre das dann von den Feldjägern und der alliierten Militärpolizei gewesen, ggf. mit Unterstüzung der Truppe, indem eben zwei Panzer erstmal den Querverkehr blockierten.
Friktionen, z.B. durch Unfälle oder Luftangriffe, die eine Straße blockierten, wären immer möglich gewesen und waren unmöglich bis ins Letzte vorauszuplane. Da half nur bei möglichen sich bereits bei der Straßenerkundung abzeichnenden Engpässen Umleitungen und Umgehungen zu erkunden oder eben mit den regional aktuell greifbaren Mitteln die Straße so schnell wie möglich wieder freizumachen. Wenn der Marsch weiträumiger über andere Marschstraßen umgeleitet werden soll, musste das natürlich wieder mit der Verkehrskommandantur abgestimmt werden, weil ja diese Straße in vielen Fällen bereits durch andere Märsch belegt war. Deswegen war es so wichtig, dass jeder Verkehrsleitpunkt der Feldjäger eine zuverlässige Fernmeldeverbindung (Telefon) hatte, sei es über AK 60 oder nicht abgeschaltete zivile Leitungen. Mit Funk war hier wegen der Reichweitenprobleme nichts auszurichten, vom normalerweise befohlenen Sendeverbot ganz zu schweigen.
Am besten gegen alle Arten von Marschstörungen halfen noch möglichst große Abstände zwischen den Marscheinheiten und Marschgruppen, soweit dies der Auftrag der Truppe erlaubte. Große Marschabstände geben mir Zeit zum Handeln, führen aber auch zu längeren Durchlaufzeiten, geringe Marschabstände führen dazu, dass die Einheiten aufeinanderfahren und endlose Konvois von vielen Kilometern Länge entstehen, die auch nicht so ohne weiteres geeignete Verfügungsräume bei Marschstockungen finden.
Mindestens sollten zwischen Marscheinheiten (Kompanien) 5 Min Abstand sein, besser sind 10 Min. Zwischen den Marschgruppen (Bataillone) mindestens 10 Minuten, besser 15 oder 20 Minuten.
Ich hatte zu diesem Thema 1987 eine Auseinandersetzung mit dem G 3 Stabsoffizier der PzBrig 36. Die 12. PzDiv war auf dem TrÜbPl Bergen, ich führte als Hauptmann das dazu abgestellte Feldjägerkommando. Im Rahmen einer Gefechtsübungen sollte die PzBrig 36 über die Dörfer von Bergen nach Munster verlegen. Bei der Planung des Marsches beharrte der G 3, ein junger dynamischer Major im Generalstab darauf, das die Kompanien nur mit 2 Minuten Abstand und die Bataillone nur mit 5 Minuten Abstand fuhren. Mein Einwand, dass bei den mir bekannten ungünstigen Straßenverhältnissen (enge Straße, vielen schwierige Ortsdurchfahren, reger landwirtschaftlicher Verkehr), die geringste Störung dazu führen würde, dass die Brigade schon am Ablaufpunkt sich stauen würde, wollte er nicht akzeptieren. Aus unserer Erfahrung stellte ich ihm dar, das ein einziger Traktor in einem Dorf, oder die alte schwerhörige Oma, die mit dem Fahrrad über das Kopfsteinpflaster mit nicht mal 10 km/h vor den Panzer dahin holpert, sofort zu Rückstauungen führen würden. Das Ganze war übrigens als Marsch bei Tag geplant, was Auflockerung noch wichtiger gemacht hätte. Ich habe dann meine abweichende Auffassung als schriftliche Notiz gegen Quittung zum Kriegstagebuch gegeben. Der Brigadekommndeur hatte offensichtlich auch so seine Zweifel an den Plänen des G 3, aber er wollte ihn anscheinend mal machen lassen. Das schwachsinnige Argument des G 3 war: "Die Brigade kann das!".
Und so kam es dann auch. Die Spitzenkompanie der Brigade fuhr in Bergen los, die ersten Fahrzeuge der zweiten Kompanie kamen auch noch pünktlich über den Ablaufpunkt - und ab der dritten Kompanie stand dann alles. Es war genau passiert, was ich befürchtet hatte. Im übernächsten Dorf, an der engsten Stelle, wo es kilometerweit keine brauchbare Umgehung gab, hatte ein Traktor mit einem Riesenanhänger eine Panne.
Es dauerte fast eine Stunde, bis ein geeignetes Abschleppfahrzeug auf abenteuerlichsten und eigentlich rechtsmäßigerweise gar nicht zulässigen Wegen nach vorne gebracht worden war.
Die Luftwaffe hatte also fast eine Stunde eine komplette stehende Brigade als Ziel und kreiste voller Begeisterung über den Panzern. Irgendwannn tauchte ein Hubschrauber mit dem Divisionskommandeur auf und landete neben der beweglichen Befehlsstelle der Brigade. Divisionskommandeur war damals Generalmajor Verstl, ein sehr beherrschter Offizier, der immer erst einmal fragte, warum irgendetwas nicht klappte, bevor er anfing zu kritisieren. Er ließ sich den Befehl des G 3 vortragen, bei den geringen Marschabständen schüttelte er bereits den Kopf und als der Brigadekommandeur auf die Darlegung meiner abweichenden Auffassung im Kriegstagebuch hinwies, ließ er sich diese zeigen und holte mich dazu. Dann meinte er zum G 3: "Herr Major, keiner kann alles wissen, aber dafür haben wir für viele Fälle Leute, die in bestimmten Fragen mehr Erfahrung haben. Die Feldjäger haben nunmal wirklich Erfahrung mit Marschbewegungen, sie hätten auf den Feldjägerhauptmann hören sollen. Jetzt entzerren Sie das ganze, indem Sie die vom Feldjäger vorgeschlagenen größeren Marschabststände einnehmen lassen."
Der ausgefallene Traktor, der hier die Marschstraße blockierte, hätte im Kriegsfall eben der Luftangriff sein können.
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